Wiegand, Dr. med. Hertha (geb. Lion)

Foto: BundesarchivFrau Dr. Hertha Wiegand wurde am 6.7.1890 als Hertha Lion in Ettenheim geboren.
Zusammen mit ihren Eltern, der älteren Schwester und der Familie ihres Onkels, Raphael Lion, wohnte sie in Ettenheim. Dort besuchte sie das Realgymnasium und machte Abitur. Sie hielt als erste Frau an ihrer Schule die Abiturrede. Nach dem Abitur studierte Hertha Lion Medizin in Freiburg, München und Heidelberg, woraufhin sie 1915 über „Granatkommotionsneurosen“, sog. „Kriegszitterer“ promovierte.
Damals gab es nur sehr wenige Frauen, die ein Gymnasium besuchten oder studierten.
 
Im gleichen Jahr, am 8.3.1915, heiratete sie ihren evangelischen Studienkollegen Otto Wiegand, der aus Dessau stammte. Dieser hatte sich bei Beginn des Ersten Weltkrieges als Arzt im Diakonistenkrankenhaus in Jerusalem aufgehalten. Als er jedoch vom Beginn des Krieges gehört hatte,  kehrte er so schnell wie möglich zurück, um seinem Land zur Verfügung zu stehen. Zusammen mit ihrem Mann war Frau Dr. Wiegand nun in einem Lazarett bei Tittisee tätig, später in einer großen Psychiatrie in Düsseldorf.

Am 10.3.1916 wurde ein Sohn geboren, der jedoch bald nach der Geburt starb.
Das Ehepaar ließ sich 1929 in Offenburg nieder, wo sie eine gemeinsame Praxis eröffneten.
 
Am 22.9.1920 wurde die Tochter Dorothea geboren. Diese besuchte in Offenburg das Grimmelshausen Gymnasium, wo sie sie Opfer zahlreicher Anfeindungen und Beschimpfungen, u.a. „Judendsau“, wurde. Ihre Mitschüler isolierten sie, bis sie nur noch Kontakt mit ebenfalls Verfolgten hatte, wie z.B. mit Kindern kommunistisch eingestellter Eltern. Dorothea Wiegand wechselte die Schule und besuchte von nun an die Höhere Handelsschule. Nach dem Erwerb der Mittleren Reife begann sie eine Lehre bei der Spedition Seegmüller. Bei der Bücherverbrennung vor dem Rathaus in Offenburg wurde sie selbst Zeugin.
 
Aufgrund einer Krankheit, die sich Dr. Otto Wiegand an der Front zugezogen hatte, verstarb er am 1.1.1925. Nach dem Tod ihres Mannes trat Frau Dr. Hertha Wiegand aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft aus und blieb konfessionslos. Sie praktizierte nun allein als Frauen- und Kinderärztin weiter und zog mit ihrer Tochter 1928 in die Wasserstraße 8 um.  Dort wandte sie moderne Heilmethoden an und empfing auch Patientinnen von weither.
 
1933 wurden sie erstmals durch die Nazis terrorisiert, als diese versuchten, die Praxis zu schließen. Da sich Frau Dr. Wiegand jedoch dagegen wehrte, gelang es nicht. Trotzdem wurden Patienten daran gehindert, ihre Praxis zu besuchen.
Man dachte an Auswanderung, was jedoch nicht ohne weiteres möglich war,  da es in vielen Ländern strenge Einwanderungsquoten gab und  es auch kaum möglich war, im Ausland eine Arbeitsstelle zu finden.
 
Am 30.9.1938 wurde Frau Dr. Wiegand aufgrund der „4. Verordnung des Reichsbürgergesetz“ die Approbation entzogen. An ihrem letzten Arbeitstag kamen so viel Patienten zu der beliebten Ärztin, dass diese bis spät in die Nacht arbeiten musste.
Als das Elternhaus in Ettenheim am 9.11.1938 verwüstet wurde, dachte man wieder an eine Auswanderung in die USA, was aber aufgrund der Einwanderungsquote nicht möglich war.
Auch das Haus in dem Frau Dr. Hertha Wiegand mit ihrer Tochter Dorothea wohnte, musste (weit unter Wert) verkauft werden. Sie zogen in die ehemaligen Praxisräume um, wo sie von ehemaligen Patienten mit Nahrung versorgt wurden.
 
Am 22.10.1940 kam es zur Deportation vieler Offenburger Juden, wobei Frau Dr. Wiegand verschont blieb, da sie in einer „privilegierten Mischehe“ gelebt hatte. Ihre Tochter nahm sich einen Tag frei, da sie in der Spedition von der bevorstehenden Deportation gehört hatte und brachte den in der Turnhalle des Schillergymnasiums (heute Schillersaal) zur Deportation versammelten Menschen Medikamente.
 
Zwei Jahre später, 1942, erhielt Frau Dr. Wiegand ihren ersten Deportationsbefehl, der jedoch widerrufen wurde, da sich mehrere Leute für sie einsetzten. Mehrere Ärzte bescheinigten ihr unabhängig voneinander schwere Krankheiten (Asthma, Herzleiden). Es wurde sogar eine Bitte an den Ministerpräsidenten Köhler durch ihren Kollegen Dr. Schmidt geschrieben, Frau Dr. Wiegand nicht zu deportieren. Doch all diese Rettungsversuche blieben erfolglos. Schließlich kam es am 10.1.1944 zur Deportation von Frau Dr. Wiegand. Die Deportation wurde am Sonntag angekündigt und einen Tag später, am Montag, durchgeführt: Sie wurde verhaftet und zu einem Sammelplatz in Karlsruhe gebracht, von wo aus sie in das KZ Theresienstadt verschleppt werden sollte. Zu Hause, auf der Fahrt nach Karlsruhe und in Karlsruhe nahm sie eine Überdosis Schlaftabletten. Daraufhin wurde sie aus dem Zug in ein Krankenhaus gebracht. Dort wurde sie jedoch nicht in ein gewöhnliches Krankenzimmer gebracht, sondern in die sog. „Zelle“, in der auch „Geisteskranke“ verwahrt wurden.
 
Frau Dr. Hertha Wiegand starb in dieser Zelle am 12.1.1944. Ihre Urne wurde im Grab ihres Mannes, Dr. Wiegand, in Freiburg beigesetzt. Frau Dorothea Siegler-Wiegand lebt noch heute in Offenburg.
 
 
Georg Spinner
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2005
 
 
Quellen:
– Dokumente von Frau Siegler-Wiegand
– Dokumente aus dem Nachlass der Familie Wiegand
– Buch „Jüdische Stimmen“ von Martin Ruch

Deutsch, Max ( Motel Dajcz )

Foto: StadtarchivDer Kaufmann Max Deutsch wurde am 20.9.1888 im polnischem Spicin unter seinem polnischen Namen Motel Dajcz geboren. In Deutschland heiratete er Dina Schnurrmann, die am 6.12.1890 in Schmieheim geboren worden war. Dina und Max Deutsch ließen sich zunächst in Ludwigshafen nieder und siedelten am 22.1.1924 nach Offenburg über. Ihre erste Tochter hieß Senta und kam am 28.3.1921 auf die Welt. Die jüngere Tochter Hannelore wurde am 29.7.1924 geboren. Die Familie lebte in ihrem eigenen Haus in der Badstraße 39. Daneben besaßen sie ein dreistöckiges Mietshaus mit einem Anbau, ebenfalls in der Badstraße. Max Deutsch führte einen gutgehenden Rohproduktenhandel von Wäschewaren, für den er zwei Hallen in der Haselwanderstraße angemietet hatte. Zur Gewerbesteuer wurde er bis 1938 veranlagt, und zwar 1938 noch mit 8.900 Reichsmark. Zum Jahresende hin musste er aber den Gewerbebetrieb einstellen. Die Familie war während der Nazizeit keinen direkten Drangsalen unterworfen, da sie über einen Schutzbrief des polnischen Konsulats verfügten. Dadurch wurde Max Deutsch amtlicherseits als Pole angesehen und konnte kein deutscher Staatsbürger werden. Dennoch wurde die Familie ein Jahr später, im Juni, nach Italien, genauer gesagt Mailand, ausgewiesen. In Italien kam die Familie Deutsch in eine Wohnung, die sie mit anderen Leuten teilen mussten. Infolge der immer engeren Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Italien seit Abschluss des „Stahlpakets“ im Mai 1939 wurden alle vor Hitler geflohenen Männer in Italien zunehmend drangsaliert: Max Deutsch musste daher zunächst ins Gefängnis für etwa zwei bis drei Wochen und anschließend in das Lager Ferramonti, welches im Süden in Kalabrien lag. Dies geschah im Jahre 1941. Im Lager bekam er zweimal Malaria. Zur selben Zeit erkrankte seine Frau schwer und starb am 11.1.1942 in Villa S. Marie. Die Kinder Senta und Hannelore konnten in die USA auswandern, wo sie später heirateten. Nach der Internierung wusste Max Deutsch nicht, wie er sich durchbringen sollte, da er als Emigrant keine Arbeit und auch keine finanzielle Hilfe erhielt. Es gelang ihm jedoch, nach Palästina auszuwandern. Bis zu seinem Tod am 13.12.1950 in Jerusalem lebte er ausschließlich von Unterstützungszahlungen seiner Tochter und ihres Ehemannes.

Nabila Popal
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2018/19

Blaues Haus Breisach

Breisach: jour fixe musical – Geige im Exil I

Unter dem Motto: „Musikalische Raritäten zum Thema Verfolgung – Widerstand – Exil“ hat im September 2018 im Blauen Haus Breisach die Reihe „Jour fixe musical“ begonnen, bei der in erster Linie von den Nazis verfemte Komponisten und Interpreten zu Worte kommen. Die Programmfolgen widmen sich aber ebenso Werken von Komponisten, die Widerstand geleistet haben oder von Künstlern, die in anderem geschichtlichen Zusammenhang verfolgt wurden oder ins Exil gehen mussten. Bei Festival Pro 2: Geige im Exil I spielen Studierende der Hochschule für Musik Freiburg (Klasse Professor Muriel Cantoreggi) Solo- und Duowerke für Violine – u.a. von Ernst Toch, Ervín Schulhoff, Egon Wellesz, Ernst Krenek
Zugabe: Gustav Mahler spielt eigene Werke (Originalaufnahme Welte-Mignon-Klavier, 1905). An dem Tag werden zudem Radierungen von Karl Jakob Hirsch zu Liedern Gustav Mahlers gezeigt.

Weitere Veranstaltungen in dieser Reihe: 2019_02_10_Jour-fixe-musical-4

Sonntag, 9. Juni 2019, 18 Uhr
Breisach, Blaues Haus
Eintritt frei

Lion, Edith & Hans

Foto: Staatsarchiv FreiburgEdith Trude Lion und Hans Max Friedrich Lion waren die Kinder von Johanna Lion und Karl Lion. Die Familie wohnte in der Franz-Volk-Straße 45 in Offenburg.

Später wurden sie durch die Nationalsozialisten aus ihrer Wohnung vertrieben und in einem so genannten Judenhaus zusammengepfercht. Dieses befand sich in der Gaswerkstraße 17, wo sie dann mit den jüdischen Familien Geismar, Grombacher und den Hammels zusammenlebten. Vater Karl Lion, ein Kaufmann, war Teilhaber der Zigarrenfirma Ullmann & Fetterer. Wie viele andere Unternehmen auch geriet diese in der Weltwirtschaftskrise 1929 in große Zahlungsschwierigkeiten. Um die Schulden zu verringern, mussten die Teilhaber, also auch Karl Lion, den Großteil ihres Vermögens sowie ihren Grundbesitz verkaufen. Dennoch standen bei der Sparkasse Offenburg und bei der Deutschen Bank auch weiter Schulden offen. Zu Beginn des „Dritten Reiches“ waren die Lions daher schon verarmt.

Foto: Staatsarchiv FreiburgDie Tochter  Edith wurde am 4. Januar 1922 in Offenburg geboren. Sie besuchte die Volksschule bis Ostern 1936. Später, soviel ist bekannt, machte Edith noch einen Kochkurs an der Klosterschule. Um diese Zeit war bereits klar, dass jüdischen Schülern und Schülerinnen der Schulbesuch kaum mehr möglich war; schon im April 1933 hatten die Nazis ein Gesetz verabschiedet, das die Zahl der jüdischen Schüler und Schülerinnen stark begrenzte. Im August 1934 wurde auch die Zahl der jüdischen Berufsschüler eingeschränkt. Und im Juli 1937 mussten die öffentlichen Schulen Sonderklassen für Juden einrichten. Leider ist nicht bekannt, ob die Eltern von Edith Lion vorhatten, ihre Tochter auf eine höhere Schule zu schicken.

Die Einschränkungen betrafen natürlich auch ihren Bruder Hans, der  am 10. Januar 1920 in Offenburg geboren wurde. Die Mutter Johanna Lion wollte wohl, dass Hans im Ausland weiter zur Schule gehen sollte. Es gelang ihr aber nicht, eine Zulassung zu bekommen. Hans machte stattdessen eine  kaufmännische Lehre. Während seiner Ausbildung vom 2. Mai 1935 bis 23. Mai 1936 bei einer Zigarrenfabrik in Emmendingen, wo er auch wohnte, soll er von seinen Kollegen Geld gestohlen haben. Das Gericht wies die Schuld den Eltern zu, weil sie angeblich den Jungen schlecht erzogen hätten. Es war selbstverständlich, dass er seinen Arbeitsplatz verlassen musste. Warum er Geld entwendet hatte, wurde vor Gericht nicht geklärt. Hans kehrte zurück nach Offenburg. In der Langestraße 18 kam  er in einem Fahrradgeschäft unter. Es existiert heute noch. Der Besitzer des Geschäftes wurde von einem Nachbarn denunziert, weil er Juden beschäftigte. Er weigerte sich standhaft, Hans zu entlassen, durfte ihn aber nicht als Lehrling, sondern nur als Hilfsarbeiter beschäftigten.

Im Oktober 1940 wurde die gesamte Familie Lion zunächst nach Gurs deportiert, von dort in ein KZ im Osten. Dies ist in einem Erhebungsbogen aus den 1960er Jahren zu lesen, den die Stadt Offenburg ausfüllte. Solche Bögen mussten alle badischen Gemeinden über die Schicksale ihrer ehemaligen jüdischen Bürger und Bürgerinnen anlegen. Das Amtsgericht Offenburg legte als Todeszeitpunkt für alle Familienmitglieder den 8. Mai 1945 fest. Niemand weiß, in welchem Vernichtungslager die Lions umkamen. Vor dem Haus in der Franz-Volk-Straße wurden Stolpersteine für die Ermordeten gesetzt.

 
Nurten Karakurt & Aysenur Zorbulut
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2014/15

Weil, Erich Elias

Foto: Staatsarchiv FreiburgErich Elias Weil wurde am 27.11.1926 als Sohn von Paula Bella und Max Weil in Rastatt geboren. Zwei Jahre darauf zog die Familie nach Offenburg in die Blumenstraße 3 und ein Jahr später in die Hermannstraße 8.

Erichs Vater arbeitete bis 1935 bei der Firma Dold. Ohne jede Entschädigung wurde er nur aufgrund seiner jüdischen Abstammung entlassen. Zwei Jahre darauf zog die Familie Weil wieder in die Blumenstraße 3, um dort ein jüdisches Café zu eröffnen.

Die Lage verschärfte sich in der sogenannten „Reichspogromnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938, in der die Offenburger Synagoge und viele jüdische Geschäfte und Häuser zerstört wurden. In dieser Nacht wurden alle männlichen Juden ab 16 Jahren festgenommen und am darauffolgenden Tag nach Dachau deportiert. Auch das Café Weil wurde zerstört und Max Weil für vier Wochen nach Dachau ins Arbeitslager deportiert. 1939 wurde die Familie Weil gezwungen, die Schäden, die durch die Nationalsozialisten am Café entstanden waren, zu beheben und das Café wieder zu eröffnen. Im gleichen Jahr mussten sie das Café jedoch wieder schließen, weil die Kundschaft ausblieb.

Mitte April zog die Familie für einige Monate nach Karlsruhe, wo Erich vermutlich auf die jüdische Schule ging.

Da Erichs Eltern für ihren einzigen Sohn keine Perspektive in Deutschland sahen, beantragten sie für ihn einen Kinderreisepass, damit er zu Verwandten nach Nordamerika auswandern konnte. Eine Bestätigung auf die Beantragung blieb aus.
Mitte Dezember 1939 zog die Familie für einige Zeit nach München. Als sie zurückkamen, bezogen sie eine Wohnung in der Schanzstraße 7. Die Nationalsozialisten hatten angeordnet, dass jüdische Kinder nur jüdische Schulen besuchen durften. Dies bedeutete für Erich, dass er jeden Tag den langen Weg nach Freiburg zurücklegen musste, da dort die nächstgelegene jüdische Schule war.

Im Oktober 1940 wurde die gesamte Familie in den frühen Morgenstunden von SS-Truppen aus den Betten geworfen und gezwungen, ihre Sachen innerhalb einer Stunde zu packen. Sie durften nur 100 Reichsmark, Essen für mehrere Tage und maximal einen Koffer pro Person mitnehmen. Die Familie wurde in den Schillersaal mit den anderen Offenburger Juden eingesperrt, am Folgetag an den Bahnhof getrieben und nach Gurs (Südfrankreich) deportiert. Dort lebte die Familie ein halbes Jahr voneinander getrennt unter menschenunwürdigen Bedingungen, bis sie im März 1941 in das Internierungslager Rivesaltes transportiert wurden. Im September desselben Jahres starb Max Weil.

Ein Jahr später gelang Erich die Flucht mit Hilfe der französischen Hilfsorganisation OSE(Œuvre de secours aux enfants), die ihn in dem Kinderheim der Lilly Volkart im Tessin unterbrachte. Mit 16 Jahren besuchte er das Gymnasium in Locarno.

Zur selben Zeit wurde seine Mutter nach Auschwitz gebracht, drei Jahre später wurde sie für tot erklärt.

1946 emigrierte Erich Elias Weil in die USA, weil er Konditor werden wollte und dazu in der Schweiz keine Möglichkeit sah. Die Auswanderungskosten sowie die Haftentschädigungskosten wurden ihm Jahre später, nach seinem Wiedergutmachungsgesuch, vom Deutschen Staat erstattet. In den USA musste er drei Jahre lang Wehrdienst leisten. 1954 eröffnete er ein Delikatessengeschäft in New York.

Weitere Informationen zu seinem Leben liegen uns leider nicht vor. Wir vermuten jedoch, dass er mittlerweile in Amerika gestorben ist.

 
Julia Gresbach & Verena Kiefer
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2013/2014

Maier, Arthur & Ima (geb. Beck)

Foto: Staatsarchiv FreiburgArthur Maier wurde am 29. Oktober 1899 geboren. Er wuchs zusammen mit seinen Eltern Friedrich und Maria Maier in Offenburg auf. Mit 29 Jahren, am 12.06.1928, bezog er eine Wohnung in der Okenstraße 59. Keine zwei Jahre später wechselte er in die Grimmelshausenstraße 20, wenig später in die Lange Straße 52. Dort wohnte er bis 1934, ein Jahr nachdem die nationalsozialistische Regierung am 1. April 1933 zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen hatte. Zwar wissen wir, dass ein großer Teil der Offenburger Solidarität zeigte, aber wie Arthur Maier seinen Beruf als Vertreter für Zigarren und Lebensmittel weiter ausüben konnte, ist nicht dokumentiert.
 
Am 2. Mai 1934 heiratete Arthur Maier die gebürtige Mainzerin Irma Rosa Beck. Zusammen mit ihr zog er drei Tage später in die Hermannstraße 12, doch am 1. Juli zog Arthur aus ungeklärten Gründen in die Grimmelshausenstr. 8 und Irma in die Okenstr. 5 um. Erst auf den 1. Oktober 1935 konnte Irma Rosa wieder zu ihrem Mann ziehen.
 
Foto: Staatsarchiv FreiburgMit Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze, am 15. September 1935, verschlechtert sich die Situation der Juden in Deutschland entscheidend. Sie definierten Juden nicht als Angehörige der jüdischen Religion, sondern als „Rasse“ und entzogen ihnen die Reichsbürgerschaft.
 
Auch die sogenannte Reichskristallnacht am 09/ 10.11.1938 muss sie zutiefst erschüttert haben. Im ganzen Land brannten die Synagogen. Auch in Offenburg wurde die Synagoge im Salmen zerstört. Alle männlichen Juden ab 16 Jahren wurden verhaftet, in einem 90minütigen Horrormarsch von Rathaus bis zum Bahnhof getrieben und in den Zug nach Dachau gesperrt, wo sie eingepfercht vier Nächte und drei Tage verbrachten. Arthur Maier wurde am 11.11.1938 nach Dachau deportiert, kam aber schon nach einigen Wochen, am 22.12.1938, wieder nach Offenburg zurück.
 
Auf den 1. August 1939 bezog das Ehepaar Maier eine Wohnung in der Schanzstraße 7. Dort wohnten sie noch ein Jahr zusammen, bevor am 22. Oktober 1940 die zweite große Deportation erfolgte. Alle Offenburger Juden wurden jetzt im Schillersaal versammelt und von dort bis zum Bahnhof getrieben. Auf dem Weg dorthin wurden sie geschlagen und verhöhnt. Man zwang sie, laut zu singen: „Muss I denn, muss i denn zum Städtele hinaus“. Vom Bahnhof wurden sie dann nach Gurs in Südfrankreich deportiert.
 
Den Quellen konnte ich entnehmen, dass das Ehepaar Maier jedoch nach Mainz und nicht nach Gurs deportiert wurde. Eine Anfrage im Stadtarchiv Mainz ergab, dass die Meldekarte von beiden dort nicht mehr vorhanden sei. Ich konnte also nicht heraus-finden, wo Arthur und Irma die nächsten vier Monate verbrachten. Aus der neuen Datenbank von Yad Vashem erhielt ich die Information, dass Arthur am 22.02.1941 von Darmstadt (Nähe Mainz) nach Theresienstadt deportiert wurde und dort am 14. 09.1943, im Alter von noch nicht einmal 44 Jahren, starb. Ob er ermordet wurde oder an Krankheit und Entkräftung starb, muss offen bleiben.
 
Wahrscheinlich ist Irma Maier mit demselben Transport nach Theresienstadt deportiert worden. Sie gilt als verschollen.
 

Magalena Stockinger
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2005

 
 
 
Quellen:
Jüdische Stimmen, Martin Ruch
Adressbuch der Kreisstadt OG-1935, StAOG Antwortschreiben des Stadtarchivs Mainz Datenbank Yad Vashem

Bergheimer, Carlotte (geb. Brunschweig)

Foto: Staatsarchiv FreiburgCharlotte Bergheimer wurde am 15.6.1887 in Delémont in der Schweiz als Charlotte Brunschweig  geboren. Sie hatte laut ihrer Tochter Sophie eine große Verwandtschaft in Paris und auch Kontakt zu einer adligen Familie. So wie jedem Juden und jeder Jüdin wurde ihr in der Nazizeit der Zweitname Sara zwangsweise zugewiesen.

Mit ihrem Ehepartner Sigmund Bergheimer, den sie am 13.8.1911 geheiratet hatte, zog sie drei Kinder groß. Zunächst wohnte die Familie in der Stegermattstraße 6, wo sie ungefähr vier Jahre verbrachten.

Hier  kamen zwei Kinder zur Welt, Sophie (geb. 9.7.1912), die später als Modistin arbeitete und auch als einzige die Naziverfolgungen überlebte und Marx Manfred, geboren am 2.10.1914, der den Beruf des Kaufmanns erlernte.

Der erste Umzug fand im Jahre 1915 statt, die Familie zog in die Friedrichstraße 55. Kurz darauf kam hier das dritte Kind, Margot Carola geboren am 12. November 1915 zur Welt, die als Erwachsene wie ihr Bruder dann als kaufmännische Angestellte tätig war.

In einem Interview, das der Historiker Martin Ruch mit der Tochter Sophie, die nach ihrer Heirat Adler hieß, 1991 führte, erzählt Sophie von ihrer Kindheit. So hätten eines Tages SS-Leute vor der Wohnung gestanden und die ganzen Wertsachen der Familie mitgenommen. Wie Sophie weiter erzählte, hätte ihre Mutter Charlotte fest daran geglaubt, dass der Familie durch die Nazis nichts passieren würde. Doch am 22.10.1940 wurde die ganze Familie wie alle badischen Juden nach Gurs deportiert. Von dort wurden sie am 27.02.1941 weiter in das Lager Noe transportiert, danach trennten sich ihre Wege für immer. Charlotte  wurde über Toulouse und Drancy nach Auschwitz deportiert und dort in der Gaskammer ermordet. Ihr Todesdatum wurde nach dem Krieg vom Amtsgericht Offenburg auf den 8.5.1945, den Tag der deutschen Kapitulation, festgelegt. Dies geschah bei allen ermordeten Menschen, deren tatsächlicher Todestag nicht mehr festzustellen war.

Im Interview bestätigte Sophie, dass sie Zuflucht bei einer adligen Familie in Frankreich gefunden habe. Sie heiratete Max Adler und lebte in Paris. 1957 forderte sie für ihre ermordete Familie eine Entschädigung, doch es gab einen langen Rechtsstreit und viele Verzögerungen, die über viele Jahre andauerten.

Schließlich erhielt sie 6.600 DM vom Wiedergutmachungsamt zugesprochen. Dies ist angesichts dessen, was man ihr und ihrer Familie angetan hatte, beschämend.     

 
Jacqueline Werner
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2018/19

Ucko, Dr. Siegfried

Foto: PrivatbesitzSiegfried Ucko wurde am 7. November 1905 in Gleiwitz geboren. Er lernte dank großer Opfer seiner Eltern am staatlich-katholischen Gymnasium in Gleiwitz und trat im Alter von 12 Jahren der zionistischen Bewegung „Blau-Weiß-Gruppe“ bei. Die zionistische Denkweise, die er dort kennenlernte, prägte sein gesamtes späteres Leben.
Nach Beendigung des Gymnasiums studierte Ucko unter anderem in Berlin, Breslau und Königsberg Philosophie, Pädagogik und Kunstgeschichte. In Berlin war er Schüler Leo Baecks und Julius Guttmanns. 1927 – im Alter von 22 Jahren – erhielt er den Doktortitel in Königsberg. Nach dessen Erhalt nahm er 1928/29 an einer Fortbildung an der jüdischen Universität in Jerusalem teil. Von der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin erhielt er den Rabbiner-Titel verliehen.
Im Jahre 1929 wurde er zum akademischen Religionslehrer ernannt und kam als Jugendrabbiner nach Mannheim. 1932 wurde ihm aber dort gekündigt, da befürchtet wurde, dass er mit seiner zionistischen Einstellung schlechten Einfluss auf die Jugend habe.

Auf der Suche nach einer neuen Stelle wurde Ucko in Offenburg fündig und zog am 1932 zusammen mit seiner Frau Ruth, geborene Loew, nach Offenburg und wohnte (dann) ab dem 1. August in der Grimmelshausenstraße 20. Als Bezirksrabbiner war er für 27 Kleingemeinden verantwortlich und dies stellte wahrlich keine einfache Aufgabe dar, da es sich um eine weit verzweigte, vielgestaltige und vielschichtige Gemeinde handelte.
Dr. Siegfried Ucko brachte durch seine menschennahe Art frischen Wind in die Gemeinde, was wahrscheinlich auch an seinem jungen Alter (27 Jahre) lag. Sein Hauptaugenmerk lag auf der Jugend, die ihm schon immer ein wichtiges Anliegen war. Deshalb gründete er im Schwarzwald auch eine Jugendherberge als Erholungsstätte für die Jugend seiner Gemeinde.
Außerdem gründete er zusammen mit dem Friesenheimer Tierarzt Dr. Dreyfuss ein landwirtschaftliches Vorbereitungslager in Diersburg für die männliche jüdische Jugend. Das Lager sollte als Vorbereitung für ein neues Leben in Palästina dienen.
Ucko hatte auch immer ein offenes Ohr für seine Gemeinde und fand in dieser Zeit, in der Juden das Selbstbewusstsein geraubt werden sollte, aufrichtende Worte und stand seinen Gemeindemitgliedern bei. Er war für alle eine starke seelische Stütze und ermutigte sie (auch) dazu, trotz dieser Einflüsse von außen, ihren Glauben nicht zu verlieren.

1935 verließ Ucko zusammen mit seiner Frau und seiner neugeborenen Tochter Elisabeth Offenburg, um sich seinen Traum, nach Palästina auszuwandern, zu ermöglichen. Gleichzeitig vergaß er aber auch hierbei seine Aufgabe nicht: Er schaffte es, alle Jugendlichen seines Vorbereitungslagers nach Palästina zu holen und sie somit vor den Nationalsozialisten und dem Krieg in ihrem Heimatland zu schützen.
In Palästina war Ucko 11 Jahre lang im Rahmen der Jugend-Alijah (=Auswanderung der jungen Juden nach Palästina) tätig und leitete in dieser Zeit unter anderem zwei Kinderheime. Auch hier versuchte Ucko, sein Prinzip der Verbindung des jüdischen Glaubens mit dem alltäglichen Leben zu verbinden und an die Kinder weiterzugeben.
1946 begann für Ucko ein neuer Berufsweg, denn in diesem Jahr wurde  er als Lehrer für Pädagogik an ein Lehrerseminar in Tel Aviv berufen.

Fünf Jahre später (1951) wurde er zum Direktor des Lehrerseminars in Givath-Hashlosha ernannt. Während dieser Zeit, in der er das zuvor schlecht geführte Seminar auf Vordermann brachte, wurde er zudem Teilzeit-Lehrer für Pädagogik an der anerkannten Jerusalemer Universität und gründete außerdem ein Seminar für Sozialpädagogik.
Nach Gründung der Universität von Tel Aviv dozierte Ucko dort und wurde zusätzlich Inspektor für alle Lehrerseminare in Israel. Außerdem wurde er zum Leiter der Abteilung für Erziehungswissenschaften der Universität von Tel Aviv berufen.
Seine Arbeit wurde auch in Form von Preisen anerkannt: So erhielt er 1968 den “Jerusalem-Preis” und 1972 den “Preis für Erziehung” der Stadt Tel Aviv.

1967 starb Uckos Frau Ruth nach langer schwerer Krankheit und hinterließ ihren Mann mit ihren beiden Töchtern. Daraufhin trat Ucko immer mehr von seinen Aufgaben zurück.
Im Jahr 1969 heiratete Ucko erneut. Mit seiner aus Lahr stammenden zweiten Frau Ruth-Renate, geborene Ullmann, verband ihn eine besondere Geschichte: Ruth-Renate war eines der Kinder,  das er aus Deutschland  aus den Fängen des Nationalsozialismus  retten konnte.Am 10. August 1976 starb Dr. Siegfried Ucko nach schwerer Krankheit in Palästina. Zu seinem Tod sagte der Tierarzt Dr. Dreyfuss: “Mit Uckos Abberufung hat jeder verloren.”

Rebekka Schneider
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2013/2014

Baum, Arnold & Leopold

Foto: Staatsarchiv Freiburg

Arnold Baum

Arnold Baum wurde am 13.10.1889 in Offenburg geboren, sein Bruder Leopold am 3.5.1884 in Nonnenweier. Arnold besuchte in Offenburg das Gymnasium bis zur Obersekunda und trat dann in eine kaufmännische Lehre ein bei seinem Onkel, dem Zigarettenfabrikanten Adolf Kahn. Dort arbeitete er bis zum Ausbruch des Krieges 1914. Während seiner Militärzeit als Einjährig-Freiwilliger diente er 1908-1909 im Infanterieregiment 170 in Offenburg. Gleich nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 rückte er als Offiziersaspirant und Offiziers-Stellvertreter (Feldwebel) ein. Nach Kriegsende übernahm er zusammen mit seinem Bruder Leopold die Firma Gebrüder Grimm, eine Offenburger Zigarrenfabrik mit Nebenbetrieben in Hofweier, Schutterzell und Ichenheim. In der Weltwirtschaftskrise 1929 geriet das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten, nicht nur aufgrund der katastrophalen Wirtschaftslage, sondern auch, weil ein Angestellter Geld unterschlagen hatte. Deshalb musste die Firma Anfang 1930 Konkurs anmelden. Arnold Baum arbeitete in der Folge als Importeur und Großhändler und erzielte überdurchschnittliche Einkünfte. Er konnte sich in Offenburg eine 6-Zimmer-Wohnung leisten und ein Dienstmädchen.

Der ehemalige Zigarrenfabrikant muss, vermutlich verstärkt durch seine Eindrücke während seiner Geschäftsreisen, sehr schnell begriffen haben, dass es den Juden in Nazideutschland bald schlimm ergehen werde. So floh er bereits im Herbst 1933 mit seiner Familie, seiner Frau Lilly und seinem 1924 geborenen Sohn Hans, nach Paris. Hier fand er jedoch keine Arbeit und hielt sich über Wasser, indem er Gegenstände aus dem Familienbesitz verkaufte. Am 16. Juli 1942 wurde die ganze Familie verhaftet und in das Sammellager Drancy geschickt. Sohn und Frau starben dort wenige Zeit später, während er ins KZ Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde.

Mehr Glück hatte sein Bruder Leopold. Wie auch sein Bruder arbeitete er nach dem Niedergang der Firma als Handelsvertreter für Zigarren. Er blieb mit seiner Familie, d.h. seiner Frau Erna (Baum-Harburger) und seinen beiden Söhnen Heinz, geboren 1923 und Fritz, geboren 1925, in Offenburg in der Weingartenstraße 53 wohnen. Wie sein Bruder war auch er wohlhabend, verlor jedoch Ende 1936 seine Arbeit, da niemand mehr etwas von Juden kaufen wollte geschweige denn konnte. Zusammen mit seiner Familie gelang es ihm,  ins Fürstentum Liechtenstein überzusiedeln, wo sie vor den Nachstellungen durch die Nazis sicher waren. Möglicherweise konnte sich die Familie in dieses für verfolgte Juden eher ungewöhnliche Fluchtland retten, weil Leopolds Frau im Thurgau geboren war und bis zur Heirat Schweizer Staatsangehörige gewesen war. Hier hielt sich die Familie mit der Herstellung von Kokosmatten über Wasser, wobei alle mitarbeiteten.

Fabian Suhm
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2014/15

Wertheimer, Simon

Foto: Staatsarchiv FreiburgSimon Wertheimer wurde am 23. Dezember 1867 in Durbach als Sohn von Ferdinand Wertheimer, welcher als Handelsmann tätig war, und Hannchen, geb. Levi, geboren. Die Familie zog später nach Ohlsbach in die Hindenburgerstraße 213 um. Schon früh lernte Simon seine spätere Frau Henriette Koch kennen, welche Nichtjüdin und zehn Jahre jünger war als er (geb. am 2.5.1877). Im Alter von 21 Jahren bekam sie am 10. April 1899 ihr einziges Kind William. Simon, der den Beruf des Kaufmannes erlernt hatte, arbeitete ab 1907 erfolgreich als „Erster Reisender für deutsche Geschäfte“ für die Firma „Vauen Vereinigte Pfeifenfabriken Adolf Eckert K.G.“.

Mitte 1935 erhielt er dennoch zusammen mit anderen jüdischen Arbeitern der Firma ein Entlassungsschreiben. Somit leistete Vauen den Anweisungen des nationalsozialistischen Staates Folge, alle jüdischen Mitarbeiter zu entlassen. Trotz fleißiger Bemühungen konnte Simon keine Arbeitsstelle mehr finden. Daraufhin zog er am 16. März 1936 zusammen mit seiner Familie von Ohlsbach nach Offenburg in die Gaswerkstraße 10 um, im November in die Lange Straße 56.

Simon Wertheimer wurde am 10. November 1938 zusammen mit allen anderen männlichen Juden aus Offenburg von der Gestapo festgenommen und in das Konzentrationslager Dachau verfrachtet. Dort wurde er für insgesamt 15 Tage bei winterlichen Temperaturen festgehalten.

Seine Frau Henriette Wertheimer begann 1940, die kranken und alten jüdischen Bürger im ganzen Amtsbezirk Offenburg zu betreuen und zu pflegen, Simon schloss sich ihr an. Die Familie zog im April 1940 in die Prädikaturstraße 6 um. Knapp ein Jahr später zogen sie in die nahe gelegene Okenstraße 3 um, in der sich die Familie sehr wohl fühlte.

Bei diesen beiden Häusern handelte es sich um sogenannte „Judenhäuser“, in die die Familie zwangsweise umziehen musste. Da Simon Wertheimer in einer „Mischehe“ lebte, was in der Nazisprache bedeutete, dass er mit einer Nichtjüdin verheiratet war, blieb ihm die Deportation aller badischen Juden am 22. Oktober 1940 nach Gurs erspart. Am 25. Mai 1944 erlag Henriette einer Erkrankung, da sie wegen ihrer Ehe mit einem jüdischen Mann nicht in das Krankenhaus aufgenommen wurde. Einen Tag zuvor noch musste die Familie auf Geheiß des Bürgermeisters erneut umziehen, in eine feuchte und kalte Wohnung im ehemaligen Synagogenkomplex in der Langen Straße 52. Ihnen wurde ein eichenes Büfett von der Offenburger Gestapo entwendet und gegen ihren Willen für einen deutlich unter dem Wert liegenden Preis verkauft.

1946 wanderte Simon zusammen mit seinem Sohn William nach Chicago in die USA aus. Ohne Einkommen schlugen sich die beiden durch und kamen schließlich am 1. Januar 1947 dort an. Die Familie schaffte es, finanziell wieder auf die Beine zu kommen, weil Simon von 1947 bis 1949 eine Arbeitsstelle bei einer Firma Hillman fand. 1951 zogen Vater und Sohn innerhalb Chicagos um.

Simon setzte nun alles daran, eine Entschädigung für das erlittene Unrecht zu erhalten. Er heuerte den Offenburger Anwalt Oskar Geck an, seine Anträge auf Wiedergutmachung wurden jedoch mehrfach von der Landesjustizverwaltung Baden-Württemberg abgelehnt. Erst am 13. Juli 1956 erhielt er eine einmalige  Kapitalentschädigung in Höhe von 2691 DM und eine lebenslängliche Rente in Höhe von 100 DM im Monat, die er rückwirkend ab dem 1. November 1953 erhielt. Leider hatte Simon Wertheimer nicht mehr lange etwas von seiner hart errungenen Entschädigung, da er etwa drei Monate später, am 6. Oktober 1956 von einem Kraftwagen angefahren wurde und einige Stunden später im Krankenhaus seinen Verletzungen erlag. Dem einzigen Erben, seinem Sohn William Wertheimer, wurde das Geld zugesprochen.

 
Maximilian Weinreich
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), Winter 2012/13