Eine Reise
Zu den Gedenkstätten am südlichen Oberrhein
Unterdrückung von Minderheiten, Ausgrenzung und Rassismus sind prägende Elemente unserer Geschichte. Daher liegt es in unserer Verantwortung von ihr zu lernen. Denn Demokratie lernen heißt, sich mit den Geschehnissen aus Vergangenheit und Gegenwart auseinander zu setzen und auch die Erinnerung an Menschheitsverbrechen wach zu halten - damit sich diese Seiten unserer Geschichte nicht wiederholen können. Diese Reise beleuchtet einen Teil badischer Geschichte, der uns vor Augen führt, wie Gewaltherrschaft, die Unterdrückung von Minderheiten und Rassismus auf dem Rücken Einzelner ausgetragen wurden. Hinter den großen anonymen Zahlen der Geschichtsbücher stehen immer Einzelschicksale. Die Menschen hinter den Fakten tragen als viele kleine aber bedeutende Mosaikteilchen zum großen Ganzen der Geschichte bei und machen sie lebendig. In diesem Text wird von den Schicksalen einzelner Menschen des südlichen Oberrhein erzählt. Sie stehen als Beispiel für viele weitere Opfer. Die Geschichte der badischen Juden sowie die der Zwangsarbeiter/innen während des Zweiten Weltkrieges sind Mahnung, um aus der Vergangenheit zu lernen.

Anfänge

13. Jahrhundert - Anfänge des deutschen Judentums


Die Entstehung des deutschen Judentums liegt weit zurück, denn schon früh lassen sich jüdische Gemeinden im deutschsprachigen Raum nachweisen. Allerdings haben sie etliche Nachteile in wirtschaftlichen und politischen Belangen, da sie im christlich geprägten Europa eine Minderheit bilden. Die ältesten urkundlichen Belege für die Anwesenheit von Juden in Baden stammen aus dem 13. Jahrhundert. Im 14. Jahrhundert gibt es zahlreiche jüdische Gemeinden. Durch Handel, Pfand- und jüdische Geldleihe erlangt die Bevölkerung große Bedeutung für die wirtschaftliche Situation der Städte. Da das Zinsverbot der Kirche Christen Geschäfte dieser Art untersagt, sind diese größtenteils den Juden vorbehalten.

1348/49 - Pestpogrome im Mittelalter

Bereits im Mittelalter werden die Juden verfolgt. Einen Höhepunkt bilden die Pestpogrome der Jahre 1348/49. Den Juden wird vorgeworfen die Brunnen vergiftet zu haben und somit verantwortlich für die Seuche zu sein. Viele Juden sterben in dieser Zeit auf den Scheiterhaufen oder werden durch Verleumdungen um ihr Geld gebracht, indem offene Schulden nicht zurückgezahlt werden. In hunderten Orten Deutschlands werden jüdische Gemeinden vernichtet. Diese Ereignisse kennzeichnen einen tiefgreifenden Einschnitt in der Geschichte des deutschen Judentums.

Nach einigen Jahren kehren vereinzelt Juden nach Südbaden zurück. Zu dieser Zeit ist ihnen allerdings nur an wenigen Orten die Ansiedlung von den dortigen Landesherren erlaubt. Häufigstes Motiv für die Erteilung der Erlaubnis sind Einnahmen durch Sondersteuern. Der Alltag der Juden ist von vielen Einschränkungen geprägt. Da sie vom Handwerk und Ackerbau gesetzlich ausgeschlossen sind, bleibt ihnen nichts anderes übrig als Handel zu treiben.

18. Jahrhundert - Entstehen einer jüdischen Kultur

Das Leben der Juden in Deutschland ist von Anfeindungen und einschränkenden Gesetzen geprägt. Es gibt aber auch Phasen, in denen Juden und Christen weitestgehend friedlich zusammenleben und die jüdischen Gemeinden wachsen können.


















Umbruch

1809 - Badisches Judenedikt: Ein Ende der Diskriminierung?

Durch den recht aufgeklärten Markgraf Karl Friedrich von Baden werden Anfang des 19. Jahrhunderts einige antijüdische Vorschriften abschafft. Dieses Zeichen der Toleranz wirkt sich auch positiv auf das Miteinander der Christen und Juden aus. Das Badische Judenedikt aus dem Jahr 1809 verbessert schließlich den Status der Juden, indem es ihre bürger- und kirchenrechtlichen Verhältnisse regelt. Seit dieser Verordnung ist die jüdische Religionsgemeinschaft staatlich anerkannt und bürokratisch eng mit dem Staat verbunden. Juden haben von nun an uneingeschränktes Bleiberecht, der Wegfall des “Judenschutzgeldes” sowie die Aufhebung der Sonderabgaben entlasten die jüdische Bevölkerung nachhaltig. Baden insgesamt ist zu dieser Zeit relativ fortschrittlich und liberal gesinnt. Doch selbst jetzt kann von einer vollkommenen Gleichberechtigung der Juden nicht die Rede sein, denn der tief verwurzelte Antisemitismus der nichtjüdischen Bevölkerung führt nach wie vor zu Diskriminierungen im Alltag. Ihre neuen Freiheiten ermöglichen den jüdischen Gemeinden allerdings Synagogen zu bauen.

Mitte 19. Jahrhundert - Bau der Synagogen: Herzstück der jüdischen Gemeinden

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts können die jüdischen Gemeinden, dank der gelockerten Gesetze, neue Synagogen bauen oder alte erweitern. Die teilweise aufwändig erbauten Betsäle repräsentieren somit auch das Selbstbewusstsein der Gemeinden zu jener Zeit.












1847 - Wurzeln unserer Demokratie: Offenburger Versammlung

[Die 13 Forderungen des Volkes]
Mitte des 19. Jahrhunderts etabliert sich eine neue demokratische Denkweise in Baden, die auch eine offizielle Gleichberechtigung der jüdischen Bevölkerung mit einbezieht. Ausdruck findet sie in den dreizehn Forderungen des Volkes, die während der Offenburger Versammlung im September 1847 im Gasthaus Salmen beschlossen werden. Diese Forderungen könnten zu ihrer Zeit revolutionärer nicht sein. Sie sprechen sich gegen eine Bevormundung des Bürgertums durch die Aristokratie aus. Sie fordern die Durchsetzung allgemeiner Grundrechte, welche Freiheit und Gleichberechtigung eines jeden garantieren sollen. Dafür kämpfen die entschiedenen Freunde der Verfassung bei ihrer Versammlung im Gasthaus Salmen in Offenburg. Ziel ist eine Weiterentwicklung der Badischen Verfassung, die die berühmten dreizehn Forderungen zu freiheitsrechtlichen Grundsätzen der Bürger enthält. Die fortschrittlich denkenden Anführer der Badischen Revolution fordern unter anderem in Artikel 2 die Pressefreiheit und in Artikel 3 neben der Lehrfreiheit auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit, was für den Fortgang der Emanzipation der deutschen Juden von großer Bedeutung ist. Das Eintreten für einen demokratischen Verfassungsstaat im Offenburger Salmen kann als Vorreiter für die Deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche gesehen werden, wo ein Jahr später die Forderungen nach individueller Freiheit, sowie festgesetzten Grenzen der Staatsgewalt weiterentwickelt werden.

1848/49 - Die Badische Revolution

Mit dem Revolutionsjahr 1848 verbreitet sich die Idee eines demokratischen Staates auch in den unteren Bevölkerungsschichten. Als sich am 13./14. Mai 1949 30-40 000 Vertreter der Badischen Volksvereine in Offenburg versammeln, ergreift der badische Großherzog die Flucht. In Karlsruhe wird die Republik ausgerufen. Gegen den Großherzog und seine verbündeten Truppen kann sich die junge Republik nur wenige Wochen halten. Anfang Juli sind die Demokraten geschlagen. Während viele Revolutionäre emigrieren, setzt in Baden eine Phase des Stillstands ein. Erst als Großherzog Friedrich I. an die Macht kommt und 1860 Reformen ankündigt, ändert sich das.

1862 - Rechtliche Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung

Die jüdische Emanzipation, ein steiniger, in Baden fast 70 Jahre dauernder Weg, begann mit der Epoche der Aufklärung im 18. Jahrhundert und fand seinen Abschluss mit der rechtlichen Gleichstellung der Juden mit den Christen. Das liberal regierte Großherzogtum Baden gewährt 1862 seinen jüdischen Mitbürgern als erster deutscher Staat die uneingeschränkte Gleichberechtigung. Durch das sogenannte "Badische Judenedikt" sollen die bisherigen sozialen, religiösen und rechtlichen Diskriminierungen abgeschafft werden. Zumindest formal ist die jüdische Bevölkerung nun gleichgestellt, auch wenn die Realität anders aussieht: in ganz Baden regt sich erheblicher antisemitischer Protest. Den ihnen entgegengebrachten Feindschaften zum Trotz, ziehen zahlreiche Juden im Südwesten wie auch im ganzen Deutschen Reich in die Städte. Eine Freiheit, die ihnen lange verweigert geblieben war und die der jüdischen Bevölkerung neue Möglichkeiten eröffnet. Damit nimmt die Zahl der in den Landgemeinden ansässigen Juden kontinuierlich ab.
1870 wird das deutsche Kaiserreich gegründet. Die lang ersehnte nationale Einheit ist erreicht, allerdings ohne die gewünschte Freiheit. Doch auch im Kaiserreich gibt es Fortschritte. Mit der Durchsetzung der konstitutionellen Monarchie und der Reichsverfassung des Deutschen Reiches, 1871 wird unter anderem das Reichsgesetz zur Gleichstellung der Bürger unabhängig ihrer Religion verabschiedet. Allerdings entspricht dies nicht immer der Realität, wenn es um die Gleichbehandlung der Juden in der Bevölkerung geht. Denn auch im Kaiserreich spüren die Juden ihre rechtliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Sonderstellung. Trotzallem ist diese Zeit geprägt vom vorwiegend friedlichen Zusammenleben der Konfessionen. Zeichen des Aufblühens der jüdischen Kultur und Zentren der israelitischen Gemeinden bilden die in vielen Orten neu erbauten zum Teil prächtigen Synagogen.

Ende 19. Jahrhundert - Zeit der Toleranz

Trotz aller Hindernisse und Anfeindungen bedeutet die rechtliche Gleichstellung für viele jüdische Gemeinden eine nie da gewesene Freiheit und Blütezeit. Viele Juden zieht es in die Städte. So siedelt sich auch in Offenburg nach langen Jahren wieder eine jüdische Gemeinde an. Auch an anderen Orten, an denen sich nun Juden niederlassen, werden die neu eingerichteten Betstuben schnell zu klein für die größer werdenden Gemeinden.


















1914 - Der Erste Weltkrieg und das Ende der Kaiserzeit

Das Deutsche Reich steuert auf eine Katastrophe zu, die am 1. August 1914 bittere Realität wird: der Beginn des ersten Weltkrieges. Durch die Reichsverfassung festgelegt, marschieren auch badische Truppen unter preußischem Befehl. Unter ihnen sind auch viele Juden, die trotz jahrhundertelanger Unterdrückung und Diskriminierung nun im Krieg ihr Leben riskieren. Badens Nähe zu Frankreich schürt in der Bevölkerung die Angst vor den französischen Truppen. Die schlechte Versorgungslage während des Krieges bringt den Menschen außerdem Hunger und Entbehrung. Nach Ende des Krieges entladen sich im November 1918 die Leiden der Menschen in revolutionären Unruhen, die den monarchischen Obrigkeitsstaat zu Fall bringen.

1920er Jahre - Scheitern der jungen Weimarer Demokratie

[Kindheitserinnerungen an das jüdische Kippenheim - Kurt Maier erzählt]
Was im Zuge der Novemberrevolution folgt, ist ein neuer Abschnitt in der deutschen Geschichte: die Weimarer Republik entsteht. Erstmals gibt es in Deutschland eine parlamentarische Demokratie, der viele Bürger allerdings ablehnend gegenüberstehen. Innerpolitische Fehlentscheidungen, der geringe Stellenwert der Grundrechte in der Verfassung, die schlechte Wirtschaftslage und die damit verbundene hohe Arbeitslosigkeit sowie das obrigkeitsstaatliche Denken der Bürger hebeln die Weimarer Reichsverfassung langsam aber stetig aus. Der Antisemitismus erstarkt, mit Hilfe gezielter Propaganda werden erneut die Juden für die schlechten Verhältnisse beschuldigt. So wird die militärische Niederlage des Krieges von rechtsextremen Gruppen mit der Dolchstoßlegende begründet. Diese besagt, dass der Krieg nicht durch den Kampf mit dem Gegner verloren worden ist, sondern durch das Verhalten von Verrätern im eigenen Land. Um den Hass zu schüren, werden Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten als Teil einer jüdisch-sozialistischen Weltverschwörung dargestellt, die als eine Bedrohung für die deutsche Bevölkerung empfunden wird. Die demokratische Struktur der jungen Weimarer Republik wird mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 in Frage gestellt. Der Weg in die Diktatur des 3. Reichs beginnt.

NS-Regime

1933 - Beginn der NS-Zeit

Die Nationalsozialisten gewinnen durch den Prozess der Gleichschaltung und durch eine geschickte Propaganda immer mehr Macht in großen Teilen der deutschen Bevölkerung. Die nationalsozialistische Weltanschauung dringt dabei immer tiefer in staatliche, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Bereiche. Einer der tragenden Pfeiler der NS-Ideologie ist der Antisemitismus. Im Zuge der angestrebten „Arisierung“ werden Juden systematisch ausgeplündert und ihre wirtschaftliche Existenz vernichtet. Damit nimmt Hitler der jüdischen Bevölkerung jede Lebensgrundlage. Die zunehmende Entrechtung der Minderheiten, beispielsweise auch der Sinti und Roma, erfolgt häufig zu Gunsten einzelner Menschen, die sich als “arisch” bezeichnen und meist Mitglied der NSDAP, der Partei Hitlers, sind. Schritt für Schritt werden antisemitische Ideen in Gesetzte gefasst und von den Behörden ausgeführt. Für die Juden bedeutet das erneute Diskriminierung und Verfolgung in Deutschland bis hin zur millionenfachen Ermordung in den Vernichtungslagern im besetzten Polen.

1938 - Demonstrative Erniedrigung einer Kultur

[Familie Bloch aus Haslach über die Pogromnacht]
"Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!"
Mit Parolen wie dieser bildet der Boykott-Aufruf, nicht in jüdischen Geschäften einzukaufen, den Anfang der Verfolgung. Zwei Jahre später werden die “Nürnberger Gesetze” verabschiedet, die den Juden in Deutschland ihre Bürgerrechte entziehen. Juden werden zu Reichsbürgern zweiter Klasse degradiert und haben keine sozialen und politischen Rechte mehr. Der geschürte Hass gegen die jüdische Minderheit gipfelt in den Novemberpogromen 1938, in der Synagogen, jüdische Geschäfte, Wohnungen und Friedhöfe zerstört werden. Im Anschluss an diese fürchterlichen Pogrome werden alle Juden aus Baden zwischen 16 und 60 Jahren in das KZ Dachau bei München abtransportiert. Die Bedingungen dort sind furchtbar, viele werden erschlagen. Nach einigen Wochen werden die Männer wieder freigelassen mit der Auflage, nicht über das Erlebte zu sprechen und das Land zu verlassen. .

1940 - Deportationen in Baden

Am 1. September 1939 entfesselt Nazi-Deutschland mit dem Überfall auf Polen den 2. Weltkrieg. Für die Juden in grenznahen Gemeinden, z.B. Breisach bedeutet das, ihre Häuser und Wohnungen verlassen zu müssen und sich selbst zu „evakuieren“.
Die Juden, die bislang noch nicht aus Deutschland geflohen sind, sind jeden Tag unvorstellbaren Demütigungen, Schikanen und Gefahren ausgesetzt. Der Plan der Nationalsozialisten, Deutschland „judenfrei“ zu machen, wird am 22. Oktober 1940 für die Badener und zeitgleich Saarpfälzer Juden zur bitteren Realität. Es ist die unter der Bezeichnung „Aktion Wagner-Bürckel“ bekannte Massenabschiebung in die unbesetzte Zone in Südfrankreich.. Ein Begriff hinter dem Trauer, Verzweiflung und Entsetzen steht. Frühmorgens an diesem Dienstag, dem Tag des jüdischen Laubhüttenfests, erscheinen Gestapobeamte. Sie dringen in die Wohnungen der jüdischen Bürger ein und befehlen, dass sie sich in nur kurzer Zeit auf eine Reise mit unbekanntem Ziel vorzubereiten haben. Ein paar wenige Habseligkeiten dürfen die Festgenommenen mitnehmen. Dieser Tag bedeutet das Ende vieler jüdischer Gemeinden in Baden und der Pfalz. An jenem Tag werden mehr als 6500 Juden aus 132 Orten ihrer Heimat im Südwesten Deutschlands braubt und auf die langen, beschwerlichen Fahrten in Internierungslager gebracht. Vor der Abreise warten Notare, die den Gefangenen eine Unterschrift abnehmen, mit der sie all ihr Eigentum abgeben. Im Lager Gurs am Nordrand der Pyrenäein in Südfrankreich herrschen katastrophale Zustände. Viele der Internierten sterben an Hunger, Krankheiten oder Entkräftung. Einigen gelingt es jedoch ihre Ausreise durchzusetzen, zu fliehen oder das Wachpersonal zu bestechen und frei zu kommen. Im Januar 1942 beschließen die Nationalsozialisten auf der Wannseekonferenz in Berlin die systematische Ermordung der europäischen Juden. Ab August 1942 werden die südfranzösischen Internierungslager geleert: die verbliebenen Lagerinsassen werden in das Lager Drancy bei Paris gebracht und von dort in die Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und Majdanek deportiert, wo sie in den Gaskammern ermordet werden. Die Möbel und andere Dinge aus den Häusern der verschleppten jüdischen Bürger werden öffentlich versteigert. In dieser Zeit sind die meisten froh über derartige „Schnäppchen“. Die Grenzen zwischen Recht und Unrecht verschwimmen durch Hitlers propagandistische Politik. Nur Wenige scheinen dies kritisch zu hinterfragen. Offenbar sind sich aber alle sicher, dass ihre jüdischen Nachbarn nicht mehr zurückkommen werden.
[Wie Kurt Maier die Deportation erlebte]
[Emma Schwarz berichtet über ihre Deportation]

1940-1943 - Das Lager in Gurs

[Kurt Maier erzählt von der Emigration seiner Familie]
Das Lager Gurs ist das größte französische Internierungslager am Fuße der Pyrenäen und untersteht den französischen Behörden. Die Aufnahme der badischen Juden kommt überraschend. Das Lager ist vollkommen unzureichend ausgestattet, durch die Überfüllung wird die Lage katastrophal. Da nicht genügend Strohsäcke, die als Schlaflager dienen, vorhanden sind, müssen viele der neu Angekommenen auf dem kalten Boden nächtigen. Bei ihrer Ankunft im Lager werden Frauen und Männer voneinander getrennt, sodass Ehepaare und ganze Familien auseinandergerissen werden. Die Trennung von ihren Angehörigen ist für die Menschen in dieser verzweifelten Lage ganz besonders schlimm. Bis zum zwölften Lebensjahr dürfen Kinder bei ihren Müttern bleiben. Sind die Kinder älter, werden auch sie von ihren Vertrauenspersonen getrennt.

Im Lager in Gurs werden nicht nur deutsche Juden interniert. Juden unterschiedlichster Nationalitäten, aber auch französische Kommunisten, Pazifisten und Gewerkschaftler werden als Gefahr für das Regime gesehen und eingesperrt. Die Unterdrückung von Minderheiten und anders Denkenden findet hier in einer ihrer schrecklichsten Formen Ausdruck.

Neben emotionalen und materiellen Entbehrungen leiden die Menschen an den grundlegendsten Dingen, wie medizinischer Versorgung und Hygiene. Dies macht den Internierten das Leben zusätzlich schwer. Auch gibt es nicht genügend Nahrung. Ein Kaffee am Morgen, eine Brotration und zweimal eine wässrige Suppe müssen den Gefangenen am Tag reichen. Durch die schlechte Versorgung ist die Sterberate sehr hoch. Insbesondere im Winter 1940 / 41 sterben zeitweise bis zu 15 Menschen täglich. Dank der Hilfe von jüdischen, christlichen und nicht-konfessionellen Hilfsorganisationen verbessern sich die Zustände in Gurs im Laufe des Jahres 1941 etwas.

Für einige wenige deutschen Juden besteht trotz ihrer Internierung noch immer die Möglichkeit zur Auswanderung über Spanien und Portugal; anderen gelingt die Flucht aus dem Lager mit Unterstützung von Hilfsorganisationen. Schätzungsweise knapp ein Drittel der badischen und pfälzischen Juden, die am 22. Oktober 1940 aus ihrer Heimat verschleppt wurden, überleben durch Flucht und Emigration die Grauen des Nazi-Regimes. Diejenigen, die weniger Glück haben, werden ab August 1942 in die Vernichtungs- und Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und Majdanek deportiert und ermordet.

1940 bis 1945 - Zwangsarbeit im Dritten Reich

Der Unterdrückung und Ausbeutung durch die NS-Diktatur fällt nicht nur die jüdische Bevölkerung zum Opfer. So gehört auch die Geschichte der Zwangsarbeit zu einem der vielen Schreckensszenarien der Demütigung und Diskriminierung im Dritten Reich.

Für ihren sinnlosen Krieg benötigen die Nationalsozialisten viele Arbeitskräfte. Da aber die Wehrmacht die männlichen Jahrgänge bereits als Soldaten einsetzt, fehlt es an Arbeitern in der Rüstungswirtschaft. Was also tun? Wie bereits viele Male zuvor, ist auch hier Gewalt die Antwort des Regimes. Mit allen Mitteln werden Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten herbeigeschafft. Zwangsarbeit gilt in vielen Fällen aber auch als Strafe für diejenigen, die Widerstand leisteten. Die Lebensbedingungen der Arbeiter in den Lagern sind katastrophal, da sie wie “Arbeitssklaven” behandelt werden.

In Haslach werden von 1944 bis 1945 drei Arbeitslager errichtet. Hier werden unter menschenunwürdigen Bedingungen Häftlinge zur Arbeit gezwungen. Sie müssen Zufahrtswege anlegen, damit die bereits bestehenden Stollen der “Hartsteinwerke Vulkan” zu einem unterirdischen Rüstungsbetrieb ausgebaut werden können. Seit September 1944 kommen über 1700 Häftlinge nach Haslach, von denen mehr als 1200 namentlich erfasst sind. Sie stammen aus 21 verschiedenen Ländern. Der größte Teil der Häftlinge stammt aus Frankreich und Russland. Die Bilanz der Konzentrationslager “Sportplatz”, des “Höllenlager Vulkans” und des Lagers “Kinzigdamm” ist traurig: Nachweislich sterben in Haslach 223 Männer, die vor der Friedhofsmauer vergraben werden. Einige Tote werden am Berg selbst verscharrt. Hunderte sterben noch vor Kriegsende in anderen Lagern oder überleben das Kriegsende nur um kurze Zeit.
[Eugen Müller über seine Zeit im Lager Vulkan]
[Die Haslacherin Rosa Jägle erzählt]

Ab 1940 - Es gibt viele weitere Opfer

Die Geschichte der Diskriminierung und Entrechtung endet jedoch nicht bei Zwangsarbeit und Judenverfolgung. Sie kennt viele weitere erschütternde Facetten. So befindet sich in der Steinacher Straße 9 in Haslach heute ein Stolperstein zum Gedenken an Ernst Moser, der 1940 dem Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten zum Opfer fällt. Die systematische Vernichtung „lebensunwerten“ Lebens bezeichnet in der Terminologie der Nationalsozialisten die Ermordung Behinderter und psychisch Kranker im NS-Staat. Ernst Moser ist nur einer von über 10.600 Opfern, denen die Nationalsozialisten ihr Recht auf Leben absprachen und die in Grafeneck vergast wurden.

Neubeginn

1945 - Kriegsende

Am 8. Mai 1945 gelingt den Alliierten der militärische Sieg über Hitler und die Deutschen, Nazideutschland kapituliert. Erst jetzt wird dem nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden ein Ende gesetzt werden. Denn noch Anfang 1945 erfolgen die letzten Transporte in die Vernichtungslager. Mit Ende des Krieges wird die Umsetzung einer wahnhaften Ideologie gestoppt. Und erst jetzt werden auch die erschütternden Ausmaße der Unterdrückung, Ausbeutung und der uneingeschränkten Machtausübung des diktatorischen Regimes sichtbar. Alle Verfolgten, die diese Schreckenszeit überlebt haben, müssen sich neu orientieren. Ihre alte Heimat existiert nicht mehr für sie.

2014 - Jüdisches Leben heute

[Entwicklung der jüdischen Gemeinden 1825-2014]
1978 siedelt sich wieder eine jüdische Familie in Emmendingen an. Bis dahin gab es in Südbaden nur in Freiburg eine jüdische Gemeinde, die sich Ende 1945 gegründet hatte. Weitere Familien folgen über die Jahre und finden in Emmendingen und Umgebung ein Zuhause, sodass im Jahr 1995 eine neue jüdische Gemeinde gegründet wird. Sie zählt zu diesem Zeitpunkt 74 Mitglieder, die in den beiden Landkreisen Emmendingen und Ortenaukreis leben. 2001 sind es bereits 200 Mitglieder, begünstigt durch die Neueinwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Im Frühjahr 1997 beschließt der Gemeinderat der Stadt Emmendingen, der jüdischen Gemeinde das ehemalige Gemeindehaus, inzwischen Simon-Veit-Haus genannt, zu überlassen. Zwei Jahre später wird das Gebäude im Rahmen eines Festaktes an die jüdische Gemeinde rückübereignet.

Heute feiert die jüdische Gemeinde im eigenen Gemeindezentrum „Ohel Schalom“ regelmäßig Gottesdienste. So prägen die jüdischen Feste, aber auch vielfältige Gruppenaktivitäten und die professionell geleistete Sozialarbeit die junge jüdische Gemeinde Emmendingen, mit ihren heute 333 Mitgliedern.































“Die Katastrophen des 20. Jahrhunderts markierten ohne Zweifel den Tiefpunkt menschlicher Geschichte. Sie waren das Ergebnis gesellschaftlicher und politischer Verhaltensweisen, die sich auf ursprünglich emanzipatorische Werte wie „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ bezogen und einen ausgeprägten zivilgesellschaftlichen Anspruch hatten. Die „Vielfalt der Menschen“ wurde dabei als das Größte beschworen, was die Entwicklung der Menschheit hervorgebracht hätte – und dennoch erlagen sie aus Angst gewaltsamen Utopien von einer homogenen Gesellschaft. Die Protagonisten dieser Angst waren die Diktatoren des Jahrhunderts. Sie wollten die geschichtliche Entwicklung an ihren Endpunkt führen, eine neue Gesellschaft mit neuen Menschen schaffen, sei es um den Preis der Vernichtung der Menschheit, ihrer Kultur, ihrer Traditionen, ihres Glaubens. Dieser Weg ist unverständlich ohne den Blick auf die Vergangenheit. Sie lässt sich begreifen in Jahrestagen mit den entsprechenden Besinnungen und in Orten mit den hier möglichen räumlichen Konfrontationen mit Leidens-, Behauptungs- und geschichtspolitischen Konfliktgeschichten. Damit wird erneut auf die Gedenkstätten verwiesen, die in ihrer Gesamtheit die Dimensionen eines fundamentalen Zivilisationsbruchs verdeutlichen.”

Peter Steinbach in "Gedenkstätten und politische Bildung in Baden-Württemberg"

Quellenverzeichnis

Weiterführende Literatur zum Text
Hundsnurscher, F. & Taddey, G. (1968). Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale. Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag.
Kaufmann, Uri R. (2007). Kleine Geschichte der Juden in Baden. Karlsruhe: G. Braun Buchverlag.
Maier, Kurt (2011). Unerwünscht: Kindheits- und Jugenderinnerungen eines jüdischen Kippenheimers. Heidelberg: verlag regionalkultur.
Schellinger, U. (Hrsg.) (2002). Gedächtnis aus Stein. Die Synagoge in Kippenheim 1852- 2002. Heidelberg: verlag regionalkultur.
Abbildungs- und Musikverzeichnis nach Abschnitten
Mitte 19. Jahrhundert - Bau der Synagogen: Herzstück der jüdischen Gemeinden
Das Bild zur Außenfassade der ehemaligen Synagoge in Kippenheim und zum Altar in Kippenheim wurden vom Förderverein Ehemalige Synagoge Kippenheim e. V. zur Verfügung gestellt.
Urkunde zu Tausend und eine Nacht zur Verfügung gestellt vom Freundeskreis Ehemalige Synagoge e.V. Stadt Sulzburg.
1847 - Wurzeln unserer Demokratie: Offenburger Versammlung
Alle Bilder im Video wurden vom Museumsarchiv der Stadt Offenburg zur Verfügung gestellt.
Sprecher: Fabian Moser
Musik: March of the Heavy Engeneers von Bruno Antonio Buike, Lizenz [CC BY-NC-ND 3.0]
Ende 19. Jahrhundert - Zeit der Toleranz
Die Bilder 'Die Synagoge in Offenburg' und 'Errichtung der Offenburger Synagoge' wurden vom Museumsarchiv der Stadt Offenburg zur Verfügung gestellt.
Das Bild 'Die Synagoge in Emmendingen vor der Renovierung 1922/23' wurde zur Verfügung gestellt vom Verein für jüdische Geschichte und Kultur Emmendingen e.V.
Das Bild 'Die Synagoge in Sulzburg' wurde zur Verfügung gestellt vom Freundeskreis Ehemalige Synagoge e.V. Stadt Sulzburg.
1914 - Der Erste Weltkrieg und das Ende der Kaiserzeit
Die beiden Bilder zum Ersten Weltkrieg hat die Initiative Gedenkstätte Vulkan AG des Historischen Vereins Haslach zur Verfügung gestellt.
1920er - Scheitern der jungen Weimarer Demokratie
Die Quelle aller Bilder im Video zu den 'Kindheitserinnerungen an das jüdische Kippenheim' ist Kurt Maiers Buch Unerwünscht: Kindheits- und Jugenderinnerungen eines jüdischen Kippenheimers (siehe auch in der weiterführenden Literatur).
Sprecher: Michael Schmidt
Musik: Woods of Chaos von Rob Costlow – Contemporary Piano, Lizenz [CC BY-NC-ND 3.0]
1938 - Demonstrative Erniedrigung einer Kultur
Die Initiative Gedenkstätte Vulkan AG des Historischen Vereins Haslach hat alle Bilder zum Video über Joseph Bloch und seiner Familie zur Verfügung gestellt.
Sprecher: Marcel Hoeser
Musik: Nostalgie d'automne von Francine Hauchart, Lizenz [CC BY-NC-SA 3.0]
Die Breisacher Synagoge brennt zur Verfügung gestellt vom Förderverein Ehemaliges Jüdisches Gemeindehaus Breisach e.V.
Gemeindehaus Emmendingen nach der Pogromnacht sowie Die abgebrannte Synagoge in Emmendingen – entnommen aus der Broschüre „Orte, Schauplätze, Spuren. Jüdisches Leben in Emmendingen“ vom Verein für jüdische Geschichte und Kultur Emmendin¬gen e.V.
Die verwüstete Synagoge in Kippenheim aus Kurt Maiers Buch Unerwünscht: Kindheits- und Jugenderinnerungen eines jüdischen Kippenheimers.
Geschändete Thorarolle aus der Offenburger Synagoge zur Verfügung gestellt vom Museumsarchiv der Stadt Offenburg.
1940 - Deportationen in Baden
Alle Bilder der Slideshow Wie Kurt Maier die Deportation erlebte sind Kurt Maiers Buch Unerwünscht: Kindheits- und Jugenderinnerungen eines jüdischen Kippenheimers entnommen und wurden vom Förderverein Ehemalige Synagoge Kippenheim e. V. digital zur Verfügung gestellt.
Sprecher: Michael Schmidt
Musik: Frozen Silence von Meadow, Lizenz [CC BY-SA 3.0]
Die Bilder des Videos Emma Schwarz berichtet über ihre Deportation, welche das Passbild von Emma Schwarz selbst sowie das Geschäft ihres verstorbenen Ehemanns zeigen, sind der Broschüre „Orte, Schauplätze, Spuren. Jüdisches Leben in Emmendingen“ vom Verein für jüdische Geschichte und Kultur Emmendin¬gen e.V. entnommen. Als Quelle der beiden Bilder zu Gurs kann die Initiative Gedenkstätte Vulkan AG des Historischen Vereins Haslach genannt werden.
Sprecherin: Judith Aurand
Musik: Chopin‘s Song von Etienne Gervot, Lizenz [CC BY-SA 3.0]
1944 - Das Lager in Gurs
Alle Bilder des Videos Kurt Maier erzählt von der Emigration seiner Familie sind Kurt Maiers Buch Unerwünscht: Kindheits- und Jugenderinnerungen eines jüdischen Kippenheimers entnommen und wurden vom Förderverein Ehemalige Synagoge Kippenheim e. V. digital zur Verfügung gestellt.
Sprecher: Michael Schmidt
Musik: Hope you will fine von Stefano Mocini, Lizenz [CC BY-NC-SA 3.0]
Die Tagebuchaufzeichnungen, sowie die Bilder zu Clementine Neu wurden zur Verfügung gestellt vom Museumsarchiv der Stadt Offenburg.
1940er - Zwangsarbeit im Dritten Reich
Das Eingangsbild von den Zwangsarbeitern sowie alle Bilder im Video Eugen Müller über seine Zeit im Lager Vulkan wurden von der Initiative Gedenkstätte Vulkan AG des Historischen Vereins Haslach zur Verfügung gestellt.
Ebenfalls ist die Originalaufnahme von Eugen Müller durch die Gedenkstätteninitiative zur Verfügung gestellt worden.
Musik: The Distance von Blukaos, Lizenz [CC BY-SA 3.0]
Alle enthaltenen Bilder im Video Die Haslacherin Rosa Jägle erzählt wurden von der Initiative Gedenkstätte Vulkan AG des Historischen Vereins Haslach zur Verfügung gestellt.
Ebenfalls ist die Originalaufnahme von Rosa Jägle durch die Gedenkstätteninitiative zur Verfügung gestellt worden.
Musik: In Time von Jason Pfaff, Lizenz [CC BY-NC-ND 3.0]
1940er - Es gibt viele weitere Opfer
Die Bilder zu Ernst Moser sind der Broschüre „Stolpersteine“ des Kulturamts Haslach entnommen und wurden von der Initiative Gedenkstätte Vulkan AG des Historischen Vereins Haslach in digitaler Form zur Verfügung gestellt.
2014 - Jüdisches Leben heute