Neu, Erwin

Foto: Stadtarchiv OffenburgAls erstes Kind von Emil Neu, dem Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Offenburg, und Anna Neu (geborene Rosenbaum), wurde Erwin Neu am 31.5.1908 in Straßburg geboren. 1916, als er acht Jahre alt war, starb seine Mutter und wurde in Straßburg begraben. Im Januar 1919 musste die Familie aufgrund ihrer deutschen Staatsangehörigkeit Straßburg verlassen. Sie zogen nach Offenburg in die Ortenbergerstraße 46. Erwin Neu besuchte das Grimmelshausen-Gymnasium, wo er 1926 das Abitur machte. Als Kind zeigte er reges Interesse am jüdischen Glauben und besuchte jede Woche gerne den Gottesdienst.

Nach seinem Abitur studierte er Zahnmedizin in Freiburg und wohnte dort ab dem 1.7.1930 in der Schlossbergstraße 14. Als er seine Studien mit der Promotion 1931 abgeschlossen hatte, blieb er als Assistent für Prothetik an der Universität in Freiburg, pflegte aber weiterhin einen freundschaftlichen Kontakt zu einigen Offenburgern. Zu dieser Zeit ahnten er und seine Familie bereits, dass die Machtergreifung 1933 eine „Bedrohung für die Weimarer Republik“ und einen „Verlust der Freiheit“ darstellen würde. Daher drängte er schon in frühen Jahren seine Eltern – sein Vater hatte wieder geheiratet – Deutschland zu verlassen. Doch diese blieben. Auch  er selbst dachte daran auszuwandern, obwohl es noch keine Übergriffe auf die Offenburger Juden gegeben hatte. Einzig sein Bruder, der Kaufmann war, hatte von „einigen Bemerkungen seiner Kunden“ berichtet.

Am 11. April 1933 wurde Erwin Neu wegen seiner Religionszugehörigkeit bis auf weiteres von seiner Assistentenstelle beurlaubt, obwohl sich seine Freunde für ihn eingesetzt hatten. Zu diesem Zeitpunkt verharmlosten seine „nicht-jüdischen“ Freunde Hitler ihm gegenüber noch: „Er müsse doch nicht alles glauben, was da stehe“.

Im Juni 1933 verließ Erwin schließlich Deutschland Richtung Algerien. Er ging nach Oran, wo er sich durch Kontakte zu einem Verbindungsbruder seines Vaters eine Stelle als Zahnarzt erhoffte. Doch weil sein Diplom nicht anerkannt wurde, kehrte er zwei Monate später nach Europa zurück und siedelte sich in Cannes (Frankreich) an. Im November 1933 fand er eine Zahnarztstelle in Gebweiler (Elsass). Er blieb jedoch nur drei Jahre dort. Mit 300 Mark in der Tasche brach er Ende 1936 nach Paris auf, wo er mit Hilfe eines Universitätsprofessors eine eigene Praxis eröffnete.

Hier lernte er Sofie Katz kennen, die er am 10. April 1938 heiratete. Seine Eltern besuchten ihn mehrmals in Paris. Doch es gelang ihm nicht, sie zu überreden, Deutschland für immer zu verlassen. So wurden sie am 22. Oktober 1940, wie viele der noch in Baden geblieben Juden, nach Gurs deportiert. Als es Clementine, der zweiten Frau seines Vaters, gelang, ihm einen Brief zu schreiben, setzte Erwin Neu alles daran, sie zu befreien. Dies glückte ihm schließlich auch. Er besorgte Clementine und Emil eine private Unterkunft und die französische Staatsbürgerschaft. Auch als sie einige Zeit später wieder kurz vor einer Deportation durch die Nazis standen, gelang es Erwin, sich und seine Eltern in letzter Minute in die Schweiz zu retten. Erwin kehrte jedoch wieder nach Frankreich zurück, wo er sich von 1942 bis 1944 illegal aufhielt.

Nach dem Krieg arbeitete er wieder als Zahnarzt und baute sich eine „zufrieden stellende Existenz in Paris“ auf, wo er auch seine restliche Lebenszeit verbrachte. Seine erste Frau Sofie Katz, mit der er die Tochter Edith Neu (1943-1971) und den Sohn Georges Neu (*1946) hatte, starb 1968. Im Jahr darauf heiratete er Paulette Benroubi.

Ab 1962 nahm er 25 Jahre lang zeitweise eine außerplanmäßige Professorenstelle als Zahnmediziner in Freiburg ein. Gleichzeitig verhalf er deutschen Professoren zu Einladungen auf internationale zahnärzt-liche Kongresse. Er verlor nie den Kontakt zu seinen nichtjüdischen Freunden und versuchte auch den Kontakt zu vertriebenen Offenburger Juden aufzubauen und zu pflegen. Im Ruhestand engagierte er sich für soziale Aufgaben, Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit. Er leitet lange Jahre die Solidargemeinschaft la Solidarité, die sich für christlich-jüdische und für deutsch-französisches Verständnis einsetzte, und wurde später Ehrenvorsitzender. Für sein Engagement erhielt Erwin Neu 1992 vom Offenburger Oberbürgermeister Wolfgang Bruder die Bürgermedaille und 1988 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Am 7. März 2002 starb Erwin Neu mit 94 Jahren in Paris.
Michael Junker
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2006/07

Neu, Emil

Foto: Stadtarchiv Offenburg

Emil und Clemenitine Neu

Emil Neu war der letzte Vorsteher der jüdischen Gemeinde Offenburgs. Mit seiner Gemeinde eng verbunden verzichtete er darauf, ins Ausland zu emigrieren und blieb stattdessen in Offenburg, um die Gemeindemitglieder bis zuletzt zu unterstützen. So bot er unter anderem Beratungsgespräche an, richtete eine Gemeindeküche ein und gründete zusammen mit seiner Ehefrau Clementine den Frauenverein. In den Lagern Dachau und Gurs konnte er den anderen Gemeindemitgliedern immer wieder Trost spenden und in Gurs konnte er aufgrund seiner Französischkenntnisse die Lage der anderen Offenburger mildern. Sein Engagement im öffentlichen Leben  zeigte sich auch in der Mitgliedschaft in zahlreichen Komitees, so war er Mitglied des Offenburger Bürgerausschusses und Mitglied in der Bnai B´ritn Loge in Karlsruhe.
 
Emil Neu wurde am 19.11. 1874  in Kinderheim in der Pfalz als drittes Kind des jüdischen Gemeindeschreibers Simon Neu und dessen Frau Fanny geboren. Er besuchte die örtliche Volksschule und dann auf Empfehlung der Lehrer das Humanistische Gymnasium in Worms, wo er die „Einjährige Reife“ erlangte. Danach ging er für einige Jahre an verschiedenen Orten im Rheinland in Lehre, um kaufmännische Kenntnisse zu erwerben. Mit 32 Jahren zog Emil Neu schließlich nach Straßburg, das seit dem Krieg 1870/71 zu Deutschland gehörte. Dort baute er eine Wäschefabrik auf und eröffnete ein Aussteuerartikelgeschäft. Nach dem Vorbild seines Vaters engagierte er sich in der jüdischen Gemeinde. 1907 heiratete er Anna Rosenbaum aus Kaiserslautern. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor: Erwin, Alice und Erich. Im Ersten Weltkrieg war er zwischen 1916 und 1917 im Straßburger Regiment als Sanitäter tätig. 1916 starb Anna Neu und wurde auf dem jüdischen Friedhof Kronenburg in Straßburg bestattet.
 
Nachdem das Elsass wieder französisch geworden war, wurde Emil Neu ausgewiesen und zog im Januar 1919 in die nahe gelegene Stadt Offenburg. Dort wohnte er ab dem 8. Februar zunächst in der Hauptstraße 55 und baute sich in der Hauptstraße 87 eine neue Existenz auf. Er eröffnete ein Textilwarenlager/
-großhandlung mit einer Wäschefabrik. Am 4. Oktober des gleichen Jahres zog Emil Neu dann in die Ortenberger Straße 46. Ein Jahr später heiratete er am 30. Juni ein zweites Mal: Clementine Wolf aus Wangen. Sie zog dann mit den Kindern zu Emil nach Offenburg. Wie auch schon in Straßburg brachte sich Emil Neu in den folgenden Jahren in der jüdischen Gemeinde ein und wurde daraufhin 1922 zum Parnes (= Vorsteher) ernannt. Unter seiner Regie wurden der Umbau und die Renovierung der Synagoge vorgenommen, außerdem richtete  er eine Gemeinde-küche ein, gründete mit seiner Gattin den Frauenverein und war als vielfältiger Ansprechpartner für seine Gemeinde tätig.
 
In den folgenden Jahren zog die Familie noch dreimal um (15. 11. 1931 Augustastraße 3, 1.4. 1937 Wasserstraße 5, 6.5. 1937 Weingartenstraße 19). In der Nacht vom 9. auf den 10. November erlebte Emil Neu wie alle Juden in Deutschland die Reichspogromnacht und die darauffolgenden Novemberpogrome, in deren Verlauf er mit den anderen männlichen Juden für 10 Tage nach Dachau verschleppt wurde. In Folge der politisch erzwungenen Arisierung musste Emil Neu sein Geschäft aufgeben. Dennoch blieb er in Offenburg, um für sich und andere nach Emigrationsmöglichkeiten zu suchen, was aus dem regen Briefwechsel mit dem Emigrationsberater Hugo Schwarz aus Villingen hervorgeht. Die Ergebnisse waren jedoch enttäuschend, da Fahrt und Kaution die Mittel der meisten Gemeinde-mitglieder überstiegen.
 
Am 22. Oktober 1940 wurde Emil Neu mit seiner Frau Clementine und 6504 anderen badischen und pfälzischen Juden, unter denen sich auch Clementines siebenundachtzigjährige Mutter Nanette Wolf-Picard befand, in das Lager Gurs in die Pyrenäen deportiert. Besonders beachtenswert ist hier, dass  Emil Neu vor der Deportation erwirkte, dass er für die Offenburger Gemeinde noch Lebensmittel einkaufen durfte, wodurch der erste Hunger auf der Fahrt gestillt werden konnte.
 
Am 8. Dezember 1940 erreichte Erwin, Emils ältester Sohn, der mittlerweile in Paris lebte, dass Emil, Clementine und ihre Mutter das Lager verlassen durften, Frau Wolf-Picard reiste zu ihrem Sohn Dr. Nathan (Natus) Wolf nach Stein am Rhein, Emil und Clementine wurden von Erwin in der 3 Avenue de Belgique privat untergebracht und erhielten die französische Staatsbürgerschaft. Aus dem Lager befreit vergaß Emil Neu seine Gemeinde, die noch gefangen war, jedoch nicht. Es bestand ein reger Briefwechsel mit den Verbliebenen im Lager und Emil Neu sandte Hilfspakete dorthin. 1942 mussten Emil und Clementine wieder in das Lager zurück. Doch als im Juli 1942 die Deportationen über Drancy nach Auschwitz begannen, gelang es Erwin, seine Eltern in letzter Minute zu retten.
 
Emil Neu und seine Frau flohen nun ebenfalls in die Schweiz. Dort angekommen mussten sie nochmals für Wochen in das Lager Büren. Nachdem sie Kautionen in Höhe von 30.000 Franken entrichtet hatten, konnten sie im Januar 1943 auch bei Clementines Bruder unterkommen. Dort starb Emil Neu dann am 24.12. 1944 im Alter von 70 Jahren. Bestattet wurde er auf dem Friedhof in Kreuzlingen.
 

Axel Bayer
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2006/07

Haberer, Dr. Max

Haberer Max, Foto: Stadtarchiv OffenburgMax Haberer ist eines von fünf Kindern des Kaufmanns Karl Haberer III. und seiner Frau Marie Haberer (geb. Kornmann). Er wurde am 27.07.1893 in Friesenheim geboren.

Max besuchte die Offenburger Oberrealschule und erhielt im Juli 1913 das Reifezeugnis, woraufhin er zwei Semester Rechtswissenschaften an der Universität Freiburg studierte. Bei Kriegsausbruch meldete Max sich freiwillig und wurde mit seiner Truppe auf allen Kriegsschauplätzen (außer Russland) eingesetzt. Er erhielt das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse und die Badische Verdienstmedaille. Nach Kriegsende nahm er sein Studium an der Universität Freiburg für zwei Semester wieder auf und wechselte später an die Heidelberger Universität, wo er nach drei weiteren Semestern im Oktober 1920 sein Referendarsexamen ablegte.

1922 heiratete er Laura Wertheimer und wurde im März 1923 als Rechtsanwalt zugelassen. Am 05.02.1925 kam ihr erster Sohn Martin in Heidelberg zur Welt, viereinhalb Jahre später, am 13.08.1929, wurde Otto geboren.

Beruflich war Max Haberer bis zum Einsetzen der Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten überaus erfolgreich und angesehen. Er war neben seiner Anwaltstätigkeit ab 1932 Leiter des jüdischen Wohltätigkeitsvereins von Offenburg, der zu diesem Zeitpunkt etwa 80 Mitglieder zählte. Aufgrund seiner Kriegsteilnahme durfte er auch nach dem 1933 erlassenen Berufsverbot die Praxis weiter betreiben, die Zahl seiner Klienten sank jedoch bis 1935 auf fast null. Eine vertrauliche Mitteilung, dass seine Verhaftung bevorstünde, veranlasste Max Haberer im August 1935 zur Flucht in die Schweiz; einen zuvor von seinem Konto abgehobenen Betrag von etwa 15.000 Reichsmark ließ er in Gewahrsam seiner Sekretärin zurück. Sein älterer Bruder Leo wurde von der Gestapo als Repressalie verhaftet, worauf Max Haberer nach Deutschland zurückkehrte und hier wegen versuchten Devisenvergehens zu 1 ½ Jahren Haft und zur Zahlung von insgesamt etwa 13.000 RM verurteilt wurde.

Nach seiner Freilassung im Juni 1937 beantragte er für sich und seine Familie ein Ausreisevisum und emigrierte im Dezember 1937 nach New York, was ihn einen Großteil seines Vermögens gekostet hat, das er zur Deckung der Reisekosten und Bezahlung der Reichsfluchtsteuer aufwenden musste. Am 14.09.1939 wurde ihm und seiner Familie die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Der ältere Sohn Martin starb als US-Soldat am 14. Januar 1945 im Alter von 19 Jahren in der Schlacht um Bastogne (Belgien) im Zuge der Ardennenoffensive.

Max Haberer konnte in New York seiner Anwaltstätigkeit nicht mehr nachgehen und war gezwungen, seinen Lebensunterhalt durch Hausieren und später durch Fabrikarbeit zu bestreiten. Sein Verdienst reichte jedoch bei Weitem nicht aus, um die Familie zu ernähren. “Aufregung der Flucht [in die Schweiz] und Rückkehr, Verhaftung und Verurteilung, die Gefängniszeit und die ungewohnte körperliche Arbeit in Amerika sowie Demütigung, Erniedrigung und die bedrückende Unsicherheit, ob es ihm gelingen werde, die Familie zu unterhalten, verursachten“ laut des behandelnden Arztes „blutende Magengeschwüre und eine Blutdrucksteigerung“, weswegen die Arbeitszeit von Max Haberer zunehmend von Krankenhausaufenthalten unterbrochen wurde und er stark in seiner Erwerbsfähigkeit eingeschränkt wurde. Zur Versorgung der Familie mussten deshalb auch seine Frau und sein Sohn Otto arbeiten gehen. Seit seiner Auswanderung war er nicht in der Lage, sich eine ausreichende, seinen früheren Lebensverhältnissen auch nur annähernd entsprechende Existenz aufzubauen. Er starb am 12.11.1955 in einem Krankenhaus in New York City und ist auf einem Friedhof bei New Jersey begraben.

Mein besonderer Dank richtet sich an Max Haberers Enkel Martin Haberer aus Florida, USA, den ich übers Internet kennengelernt habe und der mir viele Informationen zu Max Haberers Leben nach der Auswanderung sowie Fotos von ihm und seiner Familie zukommen ließ.

 
Lisa Decker
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2010/11

Meyer, Ruth (gesch. Poryle, verh. Gerritsen)

Ruth Meyer wurde am 11.12.1913 in Großsteinheim, Hessen geboren. Sie war die Tochter von August Meyer und Marie Meyer, geb. Lion. 1920 zog die Familie von Ettenheim, der Geburtsstadt ihrer Mutter, nach Offenburg, wo sie mehrmals umzogen.

Ihr Vater führte in Offenburg ein Glas- und Porzellanwarengeschäft, in dem ihre Mutter aushalf. Im Alter von zwei Jahren, am 7.09.1915 bekam Ruth einen Bruder namens Walter Max. Sie und ihre Familie waren jüdisch. Ihre Kindheit verbrachte Ruth in Ettenheim und Offenburg, hier absolvierte sie an der Mädchen-Realschule die Mittlere Reife. Sie besuchte in den Jahren 1930 bis 1931 die Höhere Handelsschule in Karlsruhe und machte dort eine Ausbildung zur Auslandskorrespondentin. Mit diesem Abschluss arbeitete sie als Bankbeamtin bei der Deutschen Bank und Diskonto-Gesellschaft in Offenburg. Damals hatte sie ein Jahreseinkommen von 3.000 Reichsmarkt (RM). Am 31.12.1933 musste sie wegen ihrer jüdischen Abstammung entlassen werden. In ihren Wiedergutmachungsunterlagen findet sich das Zeugnis der Bank, in dem es abschließend heißt: „ Fräulein Meyer scheidet mit dem heutigen Tage bei uns aus, und wir wünschen ihr auf ihrem ferneren Lebenswege das Beste“.

Während ihrer nun folgenden Arbeitslosigkeit zog sie mehrere Male um. Zwischen 1934 und 1935 zog sie zwei Mal nach Baden-Baden und wieder zurück, bevor sie im April 1936 nach Bad Polzin ins heutige Polen zog. Im März 1938 kam sie aus Dresden zurück und wohnte wieder bei Ihren Eltern in Offenburg. Zwei Monate später zog die ganze Familie nach Heidelberg. Warum sie all diese Umzüge unternahm und was sie in dieser Zeit machte, ist nicht bekannt.

Bekannt ist erst wieder, dass sie am 01.09.1939 nach New York, USA, auswanderte. Dafür fuhr sie mit der Eisenbahn von Heidelberg nach Rotterdam und kam dort mit dem Dampfer am 14.09.1939 in New York an. Dort fand Ruth jedoch auch keine feste Anstellung in ihrem Beruf und musste kleine Nebenjobs annehmen, um sich über Wasser zu halten. Sie arbeitete im Haushalt, in Restaurants und Fabriken bei bescheidenem Verdienst.

In der Zwischenzeit wurden ihre Eltern, die noch in Deutschland wohnten, am 22.10.1940 mit rund 6500 anderen Juden aus Baden und der Saarpfalz nach Gurs in Frankreich deportiert. Ihr Vater starb dort am 28.03.1941. Ihre Mutter konnte am 21.10.1941 aus dem Lager entkommen und wie ihre beiden Kinder zuvor in die USA auswandern. Da Marie durch den Aufenthalt in Gurs arbeitsunfähig geworden war, hatte sie kein Einkommen. Sie wurde von Ruth und ihrem Bruder Max finanziell unterstützt, die beide ebenfalls kaum Geldmittel hatten.

Ruth lernte in New York den aus Deutschland stammenden Juden Josef Poryle kennen und heiratete ihn am 02.12.1944. Sie nahm seinen Namen an und hieß somit Ruth Poryle. Sieben Jahre später ließ sich das Ehepaar wieder scheiden und Ruth siedelte nach Miami, Florida um. Dort wohnte sie in der 945 South Shore Drive. In dieser Zeit, am 02.12.1950, verstarb ihre Mutter.

Ebenfalls in diesem Jahr beantragte sie vom Deutschen Staat Wiedergutmachungs-leistungen. 1959 erhielt sie die ersten Zahlungen (für Auswanderungskosten und Sonderabgaben, die alle deutschen Juden 1939 zu leisten hatten), 1962 für ihren Verdienstausfall und 1967 schließlich eine Kapitalentschädigung und Rente. Insgesamt erhielt sie 7.332 DM.

In Miami heiratete sie 1962 Herrn Gerritsen.

Ruth Meyer geschiedene Poryle verheiratete Gerritsen verstarb am 30.08.1990 im Alter von 77Jahren.

Lars Heide
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2010/11

Bernheimer, Siegfried

Foto: Staatsarchiv FreiburgSiegfried Bernheimer wurde am 21. Juni 1881 in Offenburg geboren. Seine Eltern waren der Bäcker Karl und seine Frau Babette Bernheimer (geborene Bloch). Siegfried Bernheimer hatte drei Schwestern namens Lisa, Anna und Sophie. Seine Familie war jüdisch und besaß die deutsche Staatsangehörigkeit.

Siegfried Bernheimer besuchte das Grimmelshausen-Gymnasium in Offenburg und zog dann mit 29 Jahren nach München, um sich seinem Studium zu widmen. Zwischen 1910 und 1914 wechselte er in regelmäßigen Zeitabschnitten seinen Wohnort: Von München zog er zurück nach Offenburg und pendelte anschließend  zwischen Offenburg und Straßburg hin und her. Als er dann nach vier Jahren sein Studium abgeschlossen hatte, zog er 1916 nach Achern um. Dort lernte er seine große Liebe Albertine Theresia Lamm kennen. Sie wurde am 22. Februar 1890 in Waldulm geboren und war Katholikin. Schon nach kurzer Zeit heirateten sie und zusammen zog das Ehepaar nach Offenburg in die Schlossergasse 14.

Siegfried Bernheimer war Diplomkaufmann und arbeitete als Abteilungsleiter beim Wirtschaftsamt. Zusätzlich arbeitete er als Aushilfe bei der Stadtverwaltung Offenburg. Dort erhielt er allerdings keinen Lohn, sondern nur eine Arbeitsbescheinigung. Seine Frau, wie Zeitzeugen sich zu erinnern glauben, arbeitete in einer Wäscherei in der Nähe der Schlossergasse 14. Im Jahre 1933 wurde Siegfried aus seiner Anstellung entlassen, da er als Jude nicht weiterarbeiten durfte, wie er selbst sagte: „Durch die rassenpolitische Verfolgung ab 1933 durch die Nazipartei war es mir nicht möglich Arbeit zu erhalten.“ Nun war er arbeitslos und somit ohne Einkommen. Außerdem glaubte er, dass er in den nächsten Jahren keine Stelle mehr erhalten würde, da das Arbeitsamt auf wiederholte Anfrage stets erklärte: „Als Jude kommen sie überhaupt nie in Frage!“.

Am 10. November 1938, dem Tag nach der Pogromnacht, wurde er, wie alle anderen männlichen Offenburger Juden über 16 Jahren, nach Dachau deportiert. Nach zwei Monaten wurde er entlassen. 

Da Siegfried Bernheimer in einer sogenannten „Mischehe“ lebte, wurde er nicht wie die anderen badischen Juden 1940 nach Gurs deportiert.
Im Februar 1945 wurde er dennoch nach Theresienstadt deportiert, wo er bis zur Befreiung des Lagers inhaftiert war. Bei der Deportation beschlagnahmte die Gestapo seinen Besitz, der unter anderem aus einem Rucksack, einer silbernen Taschenuhr, einem paar Bergstiefel sowie rund 150 RM bestand.
Als er anschließend zurückkehrte, litt er unter starken gesundheitlichen Schäden, die er sich im Lager zugezogen hatte. Ein ärztliches Attest bestätigt, dass er unter anderem schwere Herzprobleme und schwache Augen hatte. Durch diese Erkrankungen beeinträchtigt, fand er keine Arbeitsstelle mehr. Siegfried Bernheimer erhielt jedoch von der „Jüdischen Vereinigung in Berlin“ finanzielle Unterstützung. Dieser kleine Betrag reichte jedoch nicht aus, und so beantragte er im Jahre 1946 vom deutschen Staat eine finanzielle Wiedergutmachung. Aufgrund seiner Erkrankung bekam er 1948 einen vierwöchigen Erholungsaufenthalt im Haus Rubens in Baden-Baden zugesprochen. Später erhielt er wegen seiner großen Notlage Wiedergutmachungsleistungen und danach auch eine monatliche Rente in Höhe von 87 RM.

Am 30. Oktober 1960 starb seine Frau Albertine Bernheimer nach einem Autounfall im Städtischen Krankenhaus in Offenburg. Vermutlich war Siegfried Bernheimer durch sein hohes Alter geschwächt, so dass er im Dezember des Jahres 1963 in das psychiatrische Landeskrankenhaus in Emmendingen eingewiesen wurde. Dort verbrachte er seine letzten Lebensjahre mit schweren Depressionen, bis er am 1. August 1964 in Emmendingen starb.

Da Siegfried Bernheimer nach der Lagerhaft gesundheitlich so beeinträchtigt war, wurde für ihn 1996 in Offenburg vor dem Haus Schlossergasse 14 ein Stolperstein in den Boden eingelassen.

Katharina Hornung und Katharina Müller
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2012/13

Friedman, Ingeborg (geb. Hammel)

Foto: Staatsarchiv Freiburg

Ingeborg Lore Hammel, so ihr vollständiger Name, wurde am 25. Oktober 1925 in Offenburg geboren. Sie war die Tochter von Julius Hammel, von Beruf Viehhändler, und seiner Frau Irma. Ihre Schwester Hedwig war eineinhalb Jahre älter als sie.

Die Familie lebte in der Gaswerkstraße 17 in Offenburg. Leider ist nur sehr wenig über die Kindheit von Ingeborg bekannt.

Am 22. Oktober 1940, dem Tag, an dem alle Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland nach Gurs transportiert wurden,  brachte man alle jüdischen Einwohner Offenburgs, darunter auch Familie Hammel, in eine Turnhalle. Ingeborg war noch nicht ganz 15 Jahre alt. Dort mussten sie den ganzen Tag ohne Essen und Trinken ausharren, bis sie abends schließlich deportiert wurden. Nach dreitägiger Zugfahrt kamen sie im Internierungslager Gurs an, wo sie in den engen Baracken dreckige Strohsäcke vorfanden.  Läuse, Ratten und vor allen Dingen der Hunger plagten die Menschen.

Ein knappes halbes Jahr später wurden Ingeborg und ihre Schwester dann in das Lager nach  Rivesaltes gebracht, wo sie fast ein Jahr lang bleiben mussten. Ingeborg hatte dann das Glück von einer französischen Familie jüdischen Glaubens „adoptiert“ zu werden. Sie erhielt die Erlaubnis, das Lager am 31. Januar 1942 zu verlassen und bei den Dreyfus‘ in Montpellier zu wohnen.  Ingeborg kümmerte sich um das Kind der Familie und übernahm viele Aufgaben im Haushalt. Durch ihre Fürsprache kam Hedwig Hammel wenig später bei einem Freund der Familie, Dr. Cazal, unter.

Dessen Schwester hatte wohl Verbindungen und fand heraus, dass Ingeborg und Hedwig auf einer Liste standen, die die Personen aufführte, die wieder zurück ins Lager kommen sollten. 

Deshalb plante man, die beiden Mädchen in einen Zug nach Annecy zu setzen, wo noch eine Schwester der Familie Cazal lebte, damit sie von dort aus die Grenze zur Schweiz überqueren könnten, wozu es aber letztendlich nie kam.
 
Ingeborg und Hedwig fuhren erst einmal nach Lyon, um dort umzusteigen. Allerdings wurde der Bahnhof kontrolliert und die beiden Geschwister flüchteten sich angesichts der unerwarteten Situation in einen unbesetzten Zug, wo sie sich unter den Sitzen verstecken. Dort wurden sie von Arbeitern gefunden, die wohl großes Mitleid mit ihnen hatten. Sie übergaben die Mädchen dem Personal eines anderen Zuges, das sie versteckt hielt. So schafften es die Mädchen schließlich, Annecy zu erreichen. Erst später realisierten sie, dass sie es geschafft hatten, den deutschen Besatzern zu entgehen.

Hedwig fand Unterschlupf bei der Schwester des Herrn Cazal, während Ingeborg zur wohlhabenden Familie Paccard geschickt wurde, die Kirchenglocken herstellte. Es begann eine sehr schwere Zeit für die jungen Frauen. Sie sahen sich so gut wie nie. Außerdem durften sie nicht sprechen und sich nicht zeigen, da natürlich keiner erfahren durfte, wer sie waren und woher sie kamen. Erst als die Alpen sowie die Savoie 1944 befreit worden waren, konnten sie sich unter der neuen Regierung registrieren lassen.
 
Eine Tante der Schwestern, Mina Braunschweig, war mit einem Franzosen verheiratet. Sie hatte einen Sohn, der für die Forces Francaises Libres arbeitete und nach der Befreiung auf die Namen seiner Cousinen stieß. Er erhielt für die Mädchen die militärische Erlaubnis, nach Paris zu reisen.
 
Dort angekommen stellten sich Ingeborg und Hedwig wieder in den Dienst jüdischer Familien. Allerdings besaßen sie nicht die französische Staatsangehörigkeit und sahen keine Zukunft in diesem Land. Deshalb beschlossen sie, in die USA auszuwandern. Von Familienangehörigen konnten sie sich Geld leihen und kamen am 23. Juli 1946 in Texas an, von wo aus sie weiter nach New York reisten und ein neues Leben begannen.  Zwei Jahre später heiratete Ingeborg Norbert Friedman. Die beiden bekamen zwei Söhne, Larry und Ronald.
 
Am 14. November 1981 starb Ingeborg Friedman, geborene Hammel, im Alter von 56 Jahren an einem Gehirntumor.
 

Melissa Lusch
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2010/11

Hammel, Simon

Foto: Staatsarchiv FreiburgSimon Hammel wurde am 25.12.1867 in Neufreistett (heute: Freistett) als jüngstes Kind des jüdischen Ehepaares David und Nanette Hammel geboren. Er hatte sechs Geschwister: Leopold, Therese, Babette, Joseph, Sara und Jakob Hammel. Die Familie wohnte in der Hauptstraße 17. Simon Hammel war von Beruf Viehhändler. Am 2. Juni 1908 heiratete er Mina Hammel, Tochter des jüdischen Ehepaares Moses und Rosa Bloch, in Kehl. Ihre erste Tochter Gertrud Hammel wurde am 16. März 1909 in Neufreistett geboren. Die zweite Tochter Liselotte Nanette Hammel kam am 1. Januar 1919 in zur Welt. Am 30. März 1928 zog die Familie Hammel von Renchen nach Offenburg in die Hermannstraße 20. 1931 zogen sie in die Sofienstraße 3 um.
In Offenburg führte Simon Hammel sein Geschäft als Viehhändler weiter. Er war ein angesehener Mann und seine Geschäfte liefen gut, allerdings kamen sie ab 1933 aufgrund der politischen Verhältnisse langsam zum Erliegen.
Simons Tochter Gertrud arbeitete nach Absolvierung der Volks- und Handelsschule bei ihrem Vater in der Buchhaltung und Korrespondenz. Am 12. Januar 1938 wanderte sie, durch die politischen Verhältnisse gezwungen, nach Brooklyn (USA) aus, wo sie in einer Fabrik arbeitete.

Am 17. August 1938 wurde eine Namensverordnung erlassen, durch welche Juden mit deutsch klingendem Vornamen gezwungen wurden, jüdische Vornamen anzunehmen. Jüdische Frauen hießen nun mit zweitem Namen Sara, die Männer (auch Simon Hammel) Israel.
Mit seiner schwangeren Tochter Liselotte Nanette zog Simon Hammel am 9. September 1939 nach München. Nach der Geburt seines Enkelkindes am 2. Januar 1940 zog er wieder zurück zu seiner Frau Mina nach Offenburg. Am 22. Oktober 1940 wurde er zusammen mit seiner Frau Mina und ca. 6500 weiteren Juden aus Baden und der Saarpfalz in das unbesetzte Südfrankreich nach Gurs deportiert. Dort starb er am 16. Dezember 1940 im Alter von 72 Jahren.
Simons Frau Mina wurde am 15. März 1942 in das Lager Rivesaltes deportiert. Von dort konnte sie fliehen und lebte fortan illegal in Frankreich. Am 6. Juli 1946 wanderte sie nach New York aus, wo sie bei ihrer Tochter Gertrud und deren Ehemann Paul Loewenthal in Brooklyn lebte. Am 22. März 1959 ist sie in den USA gestorben.

Simons Tochter Liselotte Nanette wurde zusammen mit ihrer zweijährigen Tochter am 26. April 1942 nach Izbica deportiert, wo sie am 31. Dezember 1945 für tot erklärt wurden.

Katharina Sieferle
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2011/12

Hammel, Kurt

Foto: Staatsarchiv FreiburgKurt Hammel wurde am 28. März 1928 in Offenburg als jüngster von zwei Söhnen geboren. Seine Kindheit verbrachte er gemeinsam mit seinen Eltern Paul und Mina Hammel sowie mit seinem Bruder Rudolf in Offenburg.

Hubert Litterst, ehemaliger „arischer“ Nachbar und ein Freund aus seiner Grundschulzeit, erzählte, dass sie in der 1. und 2. Klasse nette Lehrer hatten. Aber bereits in der 3. Klasse wurden sie von Nazis unterrichtet. Die jüdischen Kinder wurden oft diskriminiert, jedoch hatte Kurt Glück. Er wurde meistens einfach links liegen gelassen und gar nicht von den anderen Kindern oder den nationalsozialistischen Lehrern beachtet. Ihr Klassenlehrer war Herr Gißler, ein seinerzeit recht bekannter SS-Mann. Jeden Tag mussten die Kinder im Unterricht Marschlieder singen und im Kreis marschieren, aber auch hier wurde Kurt glücklicherweise übergangen und musste nicht mitmachen. Im Turnunterricht war es Pflicht, spezielle Sporthosen zu tragen, aber wegen seiner Beschneidung hatte Kurt Angst, sich vor anderen Menschen umzuziehen und sich nackt zu zeigen. Deshalb zwang sein Lehrer ihn einmal, sich vor allen Mitschülern auszuziehen, und er wurde natürlich von allen anderen Kindern ausgelacht. Kurts Mutter war manchmal bei der Mutter von Hubert Litterst zu Besuch und weinte sich bei ihr aus.

Familie Hammel zog oft um, blieb allerdings immer in Offenburg. Von 1892 bis 1920 lebte die Familie in der Schuttergasse 9, danach in der Zellerstraße 21, ab Dezember 1925 in der Hauptstraße 21 und ein Jahr später zogen sie in die Sofienstraße 30, wo Kurt seine ersten Kindheitsjahre verbrachte. Zum letzen Mal wechselten sie ihre Adresse im März 1934, erneut in die Zellerstraße 21.

Am 22. Oktober 1940 wurde Kurt gemeinsam mit seinem Bruder Rudolf, seinen Eltern und allen anderen Juden aus Baden und der Saarpfalz nach Gurs (Frankreich) deportiert. Im Oktober 1941 verlegte man die beiden Kinder in ein Kinderheim in Creuse (ebenfalls in Frankreich). Das bewahrte sie vor dem sicheren Tod. 1942 konnten die zwei Brüder in die Schweiz entkommen und lebten ab 1943 für sechs Monate in Ascona in der Nähe von Locarno. Im September 1945 war es dann soweit: Kurt und Rudolf emigrierten in die USA. Anfangs lebten sie dort in San Francisco bei ihrem Onkel und ihrer Tante, die selbst aus Deutschland geflohen waren. Ein paar Jahre später wurden Kurt und Rudolf von der US-Army eingezogen. Sie mussten in den Koreakrieg ziehen, überlebten aber beide. Nach seiner Rückkehr lebte Kurt noch bis etwa 1975 in San Francisco und zog dann ins 500 Meilen entfernte Lemon Grove, bei San Diego (Californien). Er war gelernter Bäcker, ging aber schon im Alter von 47 Jahren in Rente. Am 18.06.2003 starb Kurt Hammel im Alter von 75 Jahren im Krankenhaus.

Yannick Himmelsbach
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2010/11

Lederer, Walter

Walter Lederer wurde am 15. Februar 1919 in Diersburg geboren. Er war der Sohn von Frieda Viktoria und Moritz Lederer, die beide aus Kaufmannsfamilien stammten und Besitzer eines Textilwarenladens waren. 1923 zog Walter mit seiner Familie nach Offenburg und auch das Geschäft seiner Eltern wurde verlegt. Nach nur fünf Jahren jedoch fand ein erneuter Umzug statt. Am 31. August 1933, also bereits sieben Monate nach der Machtergreifung Hitlers, emigrierte die Familie nach Straßburg. Walter besuchte dort eine Schule, unter anderem um die französische Sprache zu erlernen. Da die Eltern unter finanzieller Not litten, musste er jedoch nach einem Jahr die Schule verlassen. Ab 1935 arbeitete Walter in einer Herdfabrik als Lehrling. Von 1937 bis zum Ausbruch des Krieges war er bei einem Eisenkonstruktionsbetrieb als Schlosser angestellt.

Im August 1939 wurde Walter Lederer in ein Internierungslager eingewiesen, aus dem er nur entlassen wurde, weil er als Freiwilliger der Fremdenlegion beitrat. Er wirkte beim Einsatz in Nordafrika mit. Nachdem er im November 1940 die Fremdenlegion verlassen hatte, kehrte er nach Frankreich zurück und begab sich zu seiner Familie, die zu dieser Zeit im Süden Frankreichs wohnte. Die beiden Jahre, die er dort verbrachte, beschreibt er als „materiell schwierig“, aber „moralisch“ hätten sie nicht zu leiden gehabt, denn die dortige Bevölkerung sei „sehr menschlich und hilfsbereit“ gewesen.

Während dieser Zeit arbeitete er zunächst ein Jahr lang als Kuhhirte und anschließend als Hilfsarbeiter in einer Sägerei. Mit der Besetzung der Südzone Frankreichs durch die Deutsche Armee im November 1942 verschlechterte sich die Lage der Juden deutlich. Walter Lederer verlor seine Arbeit und war gezwungen, die Gegend zu verlassen. Ausgestattet mit falschen Papieren schloss er sich Anfang 1943 einer Partisanengruppe in Mittelfrankreich an.

Bei der Landung der Alliierten im Juni 1944 wurde die Einheit der Fremdenlegion, der Walter angehört hatte, der Ersten Französischen Armee einverleibt. Bis zum Kriegsende 1945 war Walter Lederer am Bodensee stationiert. Er kehrte danach zu seinen Eltern, die mittlerweile wieder nach Straßburg gezogen waren, zurück. Etwa ab 1950 arbeitete er in Nizza, wo er sich als Spezialist für Eisschränke etablierte.

1953 heiratete Walter Lederer eine Elsässerin, und sie bekamen eine Tochter und einen Sohn. Aufgrund einer beruflichen Versetzung zog die Familie nach Marseille. Dort blieben sie auch nach der Pensionierung. Walter Lederer starb am 28.5.2003 in Marseille.

Mein besonderer Dank gilt Walter Lederers Bruder Arnold, der heute in Frankreich wohnt und mir bei der Erstellung dieser Kurzbiographie sehr geholfen hat. Seine Korrekturen und Ergänzungen waren eine wertvolle Hilfe!

Elisa Schöll
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2007

Meyer, Marie (geb. Lion)

Marie Lion wurde am 10.08.1889 als Tochter von Jonas und Emilie Lion geboren. Ihr Vater war  Kaufmann, über die Mutter ist nichts bekannt. Ihre Kindheit verbrachte Marie mit ihrer Familie im südbadischen Ettenheim.

Dort heiratete sie am 12.12.1912 ihren Mann August Meyer, dessen Nachnamen sie annahm. Ihr Gemahl kam aus dem hessischen Groß Steinheim und wurde dort am 27.6.1881 geboren. Mit ihm bekam sie zwei Kinder. Ihre Tochter Ruth wurde am 11.12.1913 geboren und ihr Sohn Walter Max erblickte am 07.09.1915 das Licht der Welt. Am 28.02.1920 zogen sie dann von Ettenheim nach Offenburg in die Zeller Straße 1. Dort blieben sie jedoch nicht lange, sondern zogen bereits 14 Tage später zurück nach Ettenheim. Allerdings war dies nur eine Übergangslösung, denn am 01.07.1920 zogen sie erneut nach Offenburg, diesmal in die Grabenallee 18. Während  ihrer Zeit in Offenburg zogen sie noch zwei Mal um: zunächst in die Bühlerstraße 8 und von dort in die Hauptstraße 32, die damals noch „Adolf-Hitler-Straße“ hieß. Maries Mann August führte in Offenburg ein Glas- und Porzellanwarengeschäft, in dem Marie als Aushilfe mitarbeitete. Ob sie einen Beruf erlernt hat, ist nicht bekannt. Das Ehepaar zog schließlich am 03.05.1938 nach Heidelberg.

Über Maries Leben in Heidelberg ab 1938 ist mir nichts bekannt. Am 22.10.1940 wurde sie zusammen mit ihrem Mann und mehr als 6500 anderen Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland nach Gurs in Frankreich deportiert. Für die Meisten war Gurs jedoch nur eine Zwischenstation, bevor sie zwei Jahre später in Vernichtungslager im Osten, zum Beispiel nach Auschwitz, gebracht wurden. Dieses Schicksal wurde dem Ehepaar Meyer jedoch nicht zuteil. August starb am 28.03.1941 vermutlich aufgrund der extrem schlechten Lebensbedingungen. Seiner Frau Marie erging es besser, denn sie konnte am 21.10.1941 aus dem Lager auf unbekannte Weise entkommen und nach Marseille fliehen. Von dort wanderte sie, wie auch ihre Kinder schon, in die Vereinigten Staaten aus. Am 29.10.1941 startete sie ihre Reise nach New York. Dort wohnte sie in der 164th Street 559 West. Seit ihrem Aufenthalt in Gurs war Marie körperlich stark geschädigt, was sie zu einem Pflegefall machte. Da sie arbeitsunfähig war, hatte sie kein Einkommen und musste von ihren Kindern untersützt werden, die auch die Arztkosten für sie übernahmen. Marie Meyer starb am 02.12.1950 mit 61 Jahren in New York. Ihre Kinder lebten weiterhin in den Vereinigten Staaten. Ob es noch lebende Nachkommen der Familie Meyer gibt, ist mir nicht bekannt.

Johannes Glöckle
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2010/11