Neu, Emil

Foto: Stadtarchiv Offenburg

Emil und Clemenitine Neu

Emil Neu war der letzte Vorsteher der jüdischen Gemeinde Offenburgs. Mit seiner Gemeinde eng verbunden verzichtete er darauf, ins Ausland zu emigrieren und blieb stattdessen in Offenburg, um die Gemeindemitglieder bis zuletzt zu unterstützen. So bot er unter anderem Beratungsgespräche an, richtete eine Gemeindeküche ein und gründete zusammen mit seiner Ehefrau Clementine den Frauenverein. In den Lagern Dachau und Gurs konnte er den anderen Gemeindemitgliedern immer wieder Trost spenden und in Gurs konnte er aufgrund seiner Französischkenntnisse die Lage der anderen Offenburger mildern. Sein Engagement im öffentlichen Leben  zeigte sich auch in der Mitgliedschaft in zahlreichen Komitees, so war er Mitglied des Offenburger Bürgerausschusses und Mitglied in der Bnai B´ritn Loge in Karlsruhe.
 
Emil Neu wurde am 19.11. 1874  in Kinderheim in der Pfalz als drittes Kind des jüdischen Gemeindeschreibers Simon Neu und dessen Frau Fanny geboren. Er besuchte die örtliche Volksschule und dann auf Empfehlung der Lehrer das Humanistische Gymnasium in Worms, wo er die „Einjährige Reife“ erlangte. Danach ging er für einige Jahre an verschiedenen Orten im Rheinland in Lehre, um kaufmännische Kenntnisse zu erwerben. Mit 32 Jahren zog Emil Neu schließlich nach Straßburg, das seit dem Krieg 1870/71 zu Deutschland gehörte. Dort baute er eine Wäschefabrik auf und eröffnete ein Aussteuerartikelgeschäft. Nach dem Vorbild seines Vaters engagierte er sich in der jüdischen Gemeinde. 1907 heiratete er Anna Rosenbaum aus Kaiserslautern. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor: Erwin, Alice und Erich. Im Ersten Weltkrieg war er zwischen 1916 und 1917 im Straßburger Regiment als Sanitäter tätig. 1916 starb Anna Neu und wurde auf dem jüdischen Friedhof Kronenburg in Straßburg bestattet.
 
Nachdem das Elsass wieder französisch geworden war, wurde Emil Neu ausgewiesen und zog im Januar 1919 in die nahe gelegene Stadt Offenburg. Dort wohnte er ab dem 8. Februar zunächst in der Hauptstraße 55 und baute sich in der Hauptstraße 87 eine neue Existenz auf. Er eröffnete ein Textilwarenlager/
-großhandlung mit einer Wäschefabrik. Am 4. Oktober des gleichen Jahres zog Emil Neu dann in die Ortenberger Straße 46. Ein Jahr später heiratete er am 30. Juni ein zweites Mal: Clementine Wolf aus Wangen. Sie zog dann mit den Kindern zu Emil nach Offenburg. Wie auch schon in Straßburg brachte sich Emil Neu in den folgenden Jahren in der jüdischen Gemeinde ein und wurde daraufhin 1922 zum Parnes (= Vorsteher) ernannt. Unter seiner Regie wurden der Umbau und die Renovierung der Synagoge vorgenommen, außerdem richtete  er eine Gemeinde-küche ein, gründete mit seiner Gattin den Frauenverein und war als vielfältiger Ansprechpartner für seine Gemeinde tätig.
 
In den folgenden Jahren zog die Familie noch dreimal um (15. 11. 1931 Augustastraße 3, 1.4. 1937 Wasserstraße 5, 6.5. 1937 Weingartenstraße 19). In der Nacht vom 9. auf den 10. November erlebte Emil Neu wie alle Juden in Deutschland die Reichspogromnacht und die darauffolgenden Novemberpogrome, in deren Verlauf er mit den anderen männlichen Juden für 10 Tage nach Dachau verschleppt wurde. In Folge der politisch erzwungenen Arisierung musste Emil Neu sein Geschäft aufgeben. Dennoch blieb er in Offenburg, um für sich und andere nach Emigrationsmöglichkeiten zu suchen, was aus dem regen Briefwechsel mit dem Emigrationsberater Hugo Schwarz aus Villingen hervorgeht. Die Ergebnisse waren jedoch enttäuschend, da Fahrt und Kaution die Mittel der meisten Gemeinde-mitglieder überstiegen.
 
Am 22. Oktober 1940 wurde Emil Neu mit seiner Frau Clementine und 6504 anderen badischen und pfälzischen Juden, unter denen sich auch Clementines siebenundachtzigjährige Mutter Nanette Wolf-Picard befand, in das Lager Gurs in die Pyrenäen deportiert. Besonders beachtenswert ist hier, dass  Emil Neu vor der Deportation erwirkte, dass er für die Offenburger Gemeinde noch Lebensmittel einkaufen durfte, wodurch der erste Hunger auf der Fahrt gestillt werden konnte.
 
Am 8. Dezember 1940 erreichte Erwin, Emils ältester Sohn, der mittlerweile in Paris lebte, dass Emil, Clementine und ihre Mutter das Lager verlassen durften, Frau Wolf-Picard reiste zu ihrem Sohn Dr. Nathan (Natus) Wolf nach Stein am Rhein, Emil und Clementine wurden von Erwin in der 3 Avenue de Belgique privat untergebracht und erhielten die französische Staatsbürgerschaft. Aus dem Lager befreit vergaß Emil Neu seine Gemeinde, die noch gefangen war, jedoch nicht. Es bestand ein reger Briefwechsel mit den Verbliebenen im Lager und Emil Neu sandte Hilfspakete dorthin. 1942 mussten Emil und Clementine wieder in das Lager zurück. Doch als im Juli 1942 die Deportationen über Drancy nach Auschwitz begannen, gelang es Erwin, seine Eltern in letzter Minute zu retten.
 
Emil Neu und seine Frau flohen nun ebenfalls in die Schweiz. Dort angekommen mussten sie nochmals für Wochen in das Lager Büren. Nachdem sie Kautionen in Höhe von 30.000 Franken entrichtet hatten, konnten sie im Januar 1943 auch bei Clementines Bruder unterkommen. Dort starb Emil Neu dann am 24.12. 1944 im Alter von 70 Jahren. Bestattet wurde er auf dem Friedhof in Kreuzlingen.
 

Axel Bayer
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2006/07

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