Grombacher, Karoline (geb. Rothschild)

Karoline Grombacher wurde am 22. Juni 1867 in Friesenheim geboren. Ihr Vater, Abraham Rothschild, übte den Beruf des Kunst- und Religionslehrers aus, ihre Mutter Regine, eine geborene Bodenheimer, war als Hausfrau tätig.

Am 6. November 1894 heiratete Karoline den aus dem württembergischen Gemmingen stammenden Max Grombacher. Die junge Familie lebte in Straßburg. Am 22. Juli 1895 kam ihr erster Sohn Karl auf die Welt, ihr zweiter Sohn Friedrich wurde am 29. August 1901 geboren.

Am 14. April 1920 wurden die Grombachers aus Frankreich ausgewiesen aufgrund der von der Pariser Regierung verfolgten Politik, nach Möglichkeit alle Deutschen aus dem Elsass nach Deutschland zu „repatriieren“. Die Familie gelangte so nach Offenburg und bekam in der Hauptstraße 44 eine Wohnung zugewiesen. Schon zwei Monate später zogen sie in die Friedenstraße 6, knapp ein Jahr später in die Friedrichstraße 60 und schließlich im März 1923 in den Philosophenweg 20, wo sie bis 1938 wohnen blieben. Im Philosophenweg stellten sie pharmazeutische Artikel her.

Wie die anderen männlichen Offenburger Juden wurde auch Max nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 in „Schutzhaft“ genommen und im KZ Dachau inhaftiert. Als er am 23. November 1938 zurückkehrte, war er geschwächt und verstarb noch am selben Tag aus „verfolgungsbedingten Gründen“, wie es  in der Entschädigungsakte lapidar heißt.

Die verwitwete Karoline lebte noch ein weiteres Jahr in Offenburg in einem sogenannten Judenhaus in der Gaswerkstraße 8, bevor sie am 6. August 1939 nach Straßburg zu ihrem Sohn Friedrich reiste, der schon länger nach Frankreich ausgewandert war und seinen Namen in Frédéric geändert hatte. Sein älterer Bruder Karl war zu dieser Zeit auch schon nach Frankreich geflohen und hatte den Namen Charles angenommen. Im Dezember des Jahres wollte Karoline ihr Mobiliar, darunter Schränke und Tische aus Nussbaum, Silberbesteck, Geschirr und  ein Klavier, nach Frankreich überführen. Die Sachen wurden allerdings an der Grenze in Kehl von den deutschen Behörden konfisziert, sie gelangten nie wieder in den Besitz der Familie zurück. Spätere Ermittlungen ergaben, dass das Umzugsgut entweder von der deutschen Zollbehörde zwangsversteigert oder in einer Holzbaracke gelagert worden war und 1945 durch Kriegseinwirkungen verbrannte. Als Entschädigung erhielten Friedrich und Karl als Erben ihrer Mutter 8000,- DM im Jahre 1961.

Als die deutsche Wehrmacht Frankreich angriff, wurde Karoline mit Friedrichs Familie in den Süden Frankreichs evakuiert. Nach Kriegsende kehrte sie 1945 nach Offenburg zurück. Da dort allerdings nichts mehr von ihrem Besitz erhalten war und auch die vertraute Umgebung der jüdischen Gemeinde nicht mehr existierte, ging sie erneut nach Straßburg zu ihrem Sohn Frédéric. Als Entschädigungsleistung bekam sie eine kleine Hinterbliebenenrente, da ihr Ehemann als Kaufmann beruflich lediglich dem „einfachen Dienst“ zugeordnet wurde.

Am 3. März 1954 verstarb Karoline Grombacher in Straßburg.

Sophie Bredow
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2016/17

Haberer, Leo

Der am 10. Juni 1887 in Friesenheim geborene Leo Haberer war eines von fünf Kindern des Kaufmanns Karl Haberer III und dessen Frau Marie Haberer (geb. Kornmann). Am 8. Juli 1919 heiratete er seine Frau Thekla Haberer (geb. Wertheimer). Mit ihr hatte er zwei gemeinsame Töchter, Ingeborg (geb. 19.01.1921 in Freiburg) und Ellen (geb. 27.03.1926 in Offenburg). 

Leo Haberer war Kaufmann, er öffnete am 3. November 1922 ein Textilgeschäft und wenig später ein Möbelgeschäft in der Steinstraße 28 in Offenburg. Seine Frau Thekla, die am 19. Februar 1896 in Kippenheim geboren wurde, half ganztägig als Geschäftsführerin im Geschäft ihres Mannes. Sie bezog kein festes Gehalt und arbeitete mit zwei Verkäuferinnen und einer Buchhalterin zusammen. Leo Haberer verbrachte fünf Tage die Woche bei auswärtigen Kunden. Die Geschäfte liefen zunächst gut. Nachdem die NSDAP 1933 an die Macht kam, verschlechterte sich seine geschäftliche und finanzielle Lage deutlich. Kurz nach der Flucht seines älteren Bruders Max Haberer im Jahr 1935 in die Schweiz, wurde Leo Haberer von der Gestapo als Repressalie verhaftet. Er war drei Monate inhaftiert. 1937 musste er sein Textilgeschäft aufgeben und im Sommer 1938 verkaufte er das Möbelgeschäft. Am Morgen des 10. November 1938, dem Tag nach der sogenannten „Reichskristallnacht“, wurde Leo Haberer von den Nationalsozialisten aus seinem Bett gezerrt, auf einen Lastwagen gezwungen und ins Gefängnis gebracht. Zusammen mit allen anderen männlichen Juden Offenburgs über 16 Jahren wurde er abends den teils johlenden und brüllenden Menschen ausgesetzt, als sie zu Fuß vom Gefängnis zum Bahnhof laufen mussten. Von dort aus wurden sie nach Dachau deportiert. Zu diesem Zeitpunkt war er körperlich krank. Er litt sehr unter der Misshandlung im Konzentrationslager in Dachau.  

Er überlebte die Gefangenschaft in Dachau mit Schwerhörigkeit und weiteren schweren psychischen und physischen Folgen. Seit der Verhaftung von Leo Haberer lebte seine Frau Thekla in  ständiger Angst und Sorge, dass ihr Gleiches widerfahren könnte.  

Im Dezember 1938, nach der Freilassung Leo Haberers, floh die Familie in die USA. Die Auswanderung war vermutlich schon im Sommer geplant, da die Familie Haberer bereits Ende August ihr Hausgrundstück verkaufte. Die jüngste Tochter Ellen war zum Zeitpunkt der Auswanderung 12 Jahre alt, Leo selbst war 51. Die Familie fuhr mit dem Dampfer „Washington“ der United States Lines nach New York. Sie reisten mit sehr viel Gepäck, da die Familie durch die Möbel- und Ausstattungsgeschäfte gut eingerichtet war. 

Nachdem Leo in New York keine Arbeit finden konnte, zogen die Haberers nach Philadelphia um. Dort bekam Leo von 1940-1945 eine Stelle als ungelernter Arbeiter in einer Herrenbekleidungsfabrik. Die Arbeit war jedoch schwer und ging über seine physischen Kräfte hinaus. Nach dem Kriegsausbruch verlor er seinen Arbeitsplatz, da er noch im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft war und dadurch formal betrachtet als feindlicher Ausländer galt. Seinen alten Beruf konnte er nicht mehr ausüben. Leo fand Tätigkeiten in der Bekleidungsbranche, er brachte anprobierte Kleidungsstücke zurück an ihren Platz und erledigte viele Hilfsarbeiten. Nachdem der Krieg beendet war, verlor er erneut seinen Arbeitsplatz, da die Firma auf Friedensproduktion umstellte. Zu diesem Zeitpunkt war er 59 Jahre alt.

Seine schwierige finanzielle Lage und die Fabrikarbeit machten ihm sehr zu schaffen. Als er schließlich keine Arbeitsstelle mehr finden konnte, beschloss er in New York einen Hausierhandel mit Nähartikeln zu betreiben. Jedoch scheiterte der Versuch 1948, als ihm die Arbeit über dem Kopf gewachsen war und sein körperlicher Zustand immer schlimmer wurde. Schwer krank siedelte er 1948 mit Frau und Kindern nach Kalifornien um. Dort half er bis zu seinem Tod am 20. Mai 1952 in einem Studentenhaus mit. 

 Mona Faißt
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2011/2012 

Hammel, Liselotte Nanette

Liselotte Nanette Hammel wurde als Tochter des Viehhändlers Simon Hammel (25.12.1867) und seiner Frau Mina, geborene Bloch (12.07.1883) am 1. Januar 1919 in Baden-Baden geboren. Zusammen mit ihren Eltern und ihrer 10 Jahre älteren Schwester Gertrud (16.03.1909), lebte sie bis zum 30. März 1928 in Renchen. Dann zog die Familie nach Offenburg, wo sie zunächst in der Herrmannstr. 20 und ab 1931 in der Sofienstr. 3 wohnte. Liselotte ging auf die höhere Töchterschule in Offenburg, die jedoch 1930 geschlossen wurde. Gertrud besuchte die Handelsschule in Achern und arbeitete später als Sekretärin im Betrieb ihres Vaters. Dieser war ein angesehener Viehhändler, dessen Geschäft sehr gut lief, bis es ab 1933, aufgrund der nationalsozialistischen Rassenideen, langsam zum Erliegen kam.

1938 wanderte Gertrud, Liselottes Schwester, mit ihrem Mann Paul Löwenthal in die USA nach Brooklyn aus. Dort wurde sie jedoch nie glücklich, da sie nicht gut Englisch sprach und mühsame Fabrikarbeit leisten musste, um genug Geld zu verdienen.

Am 9. September 1939 zog Liselotte, die in Offenburg als Angestellte und Hausgehilfin gearbeitet hatte, nach München, wo sie in der Martiusstr. 8 bei einer Familie Frank wohnte und als Sekretärin arbeitete. Nur drei Monate nach der Ankunft in München bekam sie am 2. Januar 1940 ihre Tochter Judis. Zu dieser Zeit war ihr Vater in München, um sie zu unterstützen. Der Vater des Kindes war der Kaufmann Rudolf Kahn, der jedoch nicht mit Liselotte verheiratet war. Weitere Informationen sind über ihn nicht bekannt.

Schon eine Woche nach der Geburt kam Judis in ein Kinderheim der IKG (Israelitische Kultusgemeinde München) in der Antonienstraße 7. Die Gründe der Trennung von Mutter und Kind sind unbekannt. Liselotte lebte ab dem 21. 05.1940 bei einer Familie Bloch und ab dem 20.05.1940 in einem IKG Krankenheim in der Hermann-Schmid-Str. 5. Auch die Gründe dafür sind ungeklärt.

Liselottes Eltern wurden beide bei der großen Massendeportation der Badischen und Saarpfälzer Juden am 22. Oktober 1940 deportiert und in das französische Internierungslager Gurs gebracht. Dort starb Simon Hammel am 16. Dezember 1940, während Mina Hammel am 15. März 1942 nach Rivesaltes gebracht wurde. Von dort schaffte sie es zu fliehen, lebte illegal in Frankreich bis sie schließlich am 6. Juli 1946 nach New York auswanderte, um bei ihrer Tochter Gertrud zu leben. Sie litt an der Parkinson-Krankheit und starb am 22. März 1959.

Am 1. November 1940 zog Liselotte nach Stuttgart in die Seestraße 64. Ihre Tochter kam aus unbekannten Gründen erst am 12. November 1941 nach Stuttgart.

Beide wurden am 26. April 1942 mit nur 23 und zwei Jahren ins polnische Auffanglager Izbica gebracht, wo insgesamt etwa 14 000 Juden festgehalten wurden. Am 31. Dezember 1945 wurden sie für tot erklärt.

Leonie Henn
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2011/12

Maier, Jakob

Jakob Maier (* 5.5.1880 in Hilsbach), in Offenburg später als „Hosen-Maier“ bekannt, zog 1908 mit 28 Jahren von Mannheim nach Offenburg um und eröffnete ein Herrenkonfektionsgeschäft in der Hauptstraße.
Ein Jahr später heiratete er Fanny Bergheimer (*21.3.1889 in Diersburg). Jakob und Fanny Maier bekamen zwei Kinder, der Sohn Hans wurde  am 28. November 1910 in Offenburg geboren und die Tochter Margarete am 29. März 1914 ebenfalls in Offenburg.

Von 1916 bis 1918 kämpfte Jakob Maier für Deutschland im Ersten Weltkrieg und war danach bis 1920 in französischer Kriegsgefangenschaft. Seine Rückkehr nach Offenburg war für seine Tochter Margarete, zu diesem Zeitpunkt sechs Jahre alt, ein großes Ereignis, welches sie ihrer eigenen Tochter oft beschrieb:
Als Margarete gesagt wurde, sie solle sich zu ihrem Vater setzen, als dieser vom Krieg nach Hause kam, war er für sie zuerst wie ein Fremder. Bei seinem Weggang war sie erst zwei Jahre alt gewesen und nun verstand sie nicht, dass dies ihr Vater sein sollte. Mit der Zeit jedoch entwickelte sich ein eine sehr enge und liebevolle Beziehung zwischen Margarete und Jakob.

Wieder zurück in Offenburg arbeitete Jakob Maier nun wieder in seinem Konfektions-geschäft. Laut Margarete liebten Fanny und Jakob das Gärtnern und besaßen einen Garten, in dem sie Gemüse und Obst pflanzten. In seiner Freizeit saß Jakob Maier gerne mit seinen Freunden am Stammtisch im Hotel Sonne.
Margarete beschrieb ihren Vater außerdem als sehr freundlichen Mann, der in der Gemeinde respektiert wurde. Seine Schwiegermutter behandelte er so fürsorglich, dass viele dachten, es wäre seine eigene Mutter.

Am 5. August 1937 stellten Jakob und Fanny Maier einen Antrag auf Ausreiseerlaubnis nach Frankreich, um dort an der Hochzeit ihres Sohnes Hans teilzunehmen, was ihnen auch gestattet wurde.

Dann jedoch änderte sich alles. Noch im Jahr 1937 wurde das Geschäft der Maiers geschlossen. Die Familie zog im Jahr darauf in ein Haus in der Ortenberger Straße 12 um. Dort befinden sich heute zwei Stolpersteine für Jakob und Fanny.
Nach der Reichspogromnacht wurde Jakob, wie alle anderen männlichen Offenburger Juden über 16 Jahre, nach Dachau deportiert, wo er bis zum 17.12.1938 im KZ bleiben musste.
Die Familien der Betroffenen beschrieben dies als schreckliche Zeit, in der man nie wusste, wann und ob die Deportierten zurückkommen würden. Einige der Deportierten starben nach ihrer Rückkehr an den Folgen der Misshandlungen im KZ.

Mit Beginn des Jahres 1939 trat das Gesetz, welches allen männlichen Juden den Zunamen Israel verlieh, in Kraft. Dies betraf auch Jakob. Ebenfalls im Jahr 1939 wurde das Grundstück der Maiers in der Ortenberger Straße veräußert. Später im Jahr 1939, am 8. Mai, stellten Jakob und Fanny einen Antrag auf Erlaubnis zur Wohnsitzverlegung in die USA. Warum sie aber dennoch nie auswanderten, ob sie nicht alle Papiere beisammen hatten oder ihnen das Geld ausging, dazu gibt es keine Quellen. Sicher ist aber, dass vielen Familien das Geld zur Auswanderung letztendlich fehlte und da Verwandte, die schon im Ausland waren, bei der Finanzierung nicht helfen durften, scheiterte die Auswanderung oft an der Finanzierung. Auch Fannys und Jakobs Tochter Margarete, die schon früher in die USA ausgewandert war, konnte ihre Eltern deshalb nicht bei ihren Auswanderungsplänen unterstützen.

Am 30. September 1940 mussten Jakob und Fanny umziehen, diesmal in die Zellerstraße 8, ein „Judenhaus“, in welchem viele jüdische Familien auf engstem Raum zusammenleben mussten.
Nur 22 Tage nach diesem Umzug wurden Jakob und Fanny gemeinsam mit 97 anderen Offenburger Juden nach Gurs, einem Lager am Fuße der Pyrenäen, deportiert, wo sie beinahe zwei Jahre inhaftiert waren.
Am 17. August 1942 wurden sie von Gurs in das Lager Les Milles (bei Marseille) und von dort wenige Tage später ins KZ Auschwitz gebracht. Dort wurden sie höchstwahrscheinlich bei ihrer Ankunft erschossen.
Das offizielle Todesdatum von Fanny und Jakob Maier ist auf den 8. Mai 1945 gelegt worden, den Tag der Kapitulation des Deutschen Reiches.

Louisa Gille
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2011/12

Bloch, Isidor (*01.07.1878 in Schmieheim)

Isidor Bloch wurde am 1. Juli 1878 als Sohn von Samuel Bloch und Marie Bloch (geb. Weil) in Schmieheim geboren. Am 19. August 1909 heiratete er in Mannheim Elsa Hirsch. 1917 gebar Elsa in Mannheim ihren ersten Sohn Hans. In den USA nannte er sich später „Henry“. Vom 20. Januar 1919 bis zum 1. April 1937 war die Familie zunächst in der Friedrichstraße 7, ab 1928 in der Augustastraße 3 in Offenburg polizeilich gemeldet.

Isidor übernahm die „Essigfabrik und Branntweinbrennerei Pfaff“ (gegründet von Anton Pfaff, in der Seestraße 1), aus der er Einkünfte von monatlich 300 Reichsmark (RM) bezog. 1920 kam Elsas und Isidors zweiter Sohn, Werner, zur Welt. In den USA nannte er sich später „Warren“. Aufgrund der antijüdischen Gesetzgebung der Nationalsozialisten musste Isidor die ‚Essigfabrik und Branntweinbrennerei Pfaff‘ aufgeben. Sechs Monate nachdem Hitler an die Macht gekommen war, einigte er sich mit dem früheren Besitzer, dass dieser die Firma offiziell wieder übernehmen sollte. Isodor führte jedoch die Geschäfte weiter. Einige Monate später stand er, nach Aussage seines Sohnes Warren, eines Montags vor verschlossener Tür. Er wurde nicht mehr in die Firma hereingelassen. Da er als Jude rechtlos war, konnte er dem nichts entgegen setzten. Er verlor somit sein Einkommen und konnte die Familie nicht mehr ernähren. Aus diesem Grunde eröffnete Elsa Mitte 1936 in einem Teil ihrer Wohnung ein jüdisches Café, welches zumindest für eine kurze Zeit als Treffpunkt für die jüdische Bevölkerung diente.

Durch die antijüdischen Maßnahmen sah die Familie im nationalsozialistischen Staat keine Zukunft mehr und beschloss, in die Vereinigten Staaten von Amerika auszuwandern. Hans und Werner Bloch reisten am 19. Juli 1936 über Paris, Cherbourg und New York nach Pittsburgh zu Verwandten.
Isidor und Elsa folgten ihren Söhnen im April 1937. Sie hatten Probleme mit der Ausreisegenehmigung, da sie noch Schulden durch die Essigfabrik hatten. Erst als sie diese bei der Sparkasse abgelöst hatten, vermutlich mit finanzieller Hilfe von Verwandten, konnten sie über Straßburg ebenfalls nach Pittsburgh auswandern.

In Pittsburgh wurden sie dann in der ersten Zeit von ihren Söhnen finanziell unterstützt. Laut Aussage des Sohnes Warren erhielten sie wöchentlich die Hälfte seines Gehaltes zur Unterstützung. Später arbeitete Isidor wieder.

In der Zeit zwischen 1943 und 1947 erzielte er laut der Wiedergutmachungsakte ein jährliches Einkommen von ca. 2000 US Dollar. Seine genaue Tätigkeit ist nicht bekannt.

Am 6. Juli 1966 verstarb Isidor Bloch in Pittsburgh und wurde dort auch beigesetzt. Seine Frau Elsa starb am 27. Juli 1971 ebenfalls in Pittsburgh.
Isidor und Elsa hinterließen neben ihren beiden Söhnen fünf Enkelkinder (davon zwei von Hans und drei von Werner Bloch).

Annabelle Fomferra
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2012/13

Wertheimer, Else & Margarete

Else Hedwig Elisabeth Wertheimer wurde am 8. November 1878 in Offenburg geboren, ebenso ihre Schwester Margarete Antonie Wertheimer am 29. Oktober 1889. Ihre Eltern waren der Weinhändler Leonhard Wertheimer und seine Frau Henriette, geb. Rosenstern.

Else erlernte den Beruf der Bibliothekarin, schied allerdings 1923 wegen eines Lungenleidens aus. Sie zog 1916 aus der Gerberstraße, bis dahin die Wohnung der beiden Schwestern, nach Frankfurt am Main, kehrte 6 Jahre später aber wieder zurück. Noch im selben Jahr zog sie nach St. Blasien; als weitere Adressen sind für Offenburg noch die Volkstraße 30 und der Frauenweg 11 nachgewiesen. Es ist unbekannt, warum sie so viele Male umzog, ebenso wie sie ihren Unterhalt bestritt. Der Aufenthalt in St. Blasien könnte mit ihrem Lungenleiden zu erklären sein, da sich in dem Luftkurort ein darauf spezialisiertes bekanntes Sanatorium befand.

Margarete war eine freiberuflich arbeitende Klavierlehrerin, die in Offenburg sehr beliebt und angesehen war. Von ihren Schülern und Schülerinnen verlangte sie 3 bis 5 Mark pro Stunde – für damalige Verhältnisse recht viel Geld, wie sich viele nach dem Krieg noch erinnern konnten. Ab 1951 konnte sie wegen Gelenkrheumas nicht mehr arbeiten.

Die Schwestern zogen schon Anfang 1933 nach Straßburg, weil wohl beiden im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen recht schnell klar war, was die Naziherrschaft für die Juden mit sich bringen würde. Ihren Lebensabend verbrachten die beiden Schwestern in der Nähe von Lausanne. Margarete verstarb am 18. April 1964, das Sterbedatum Elses ist leider unbekannt.

Lina Kiefer
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2016/17

Hammel, Irma

Irma Hammel kam am 5. April 1901 in Freistett bei Kehl als jüngste Tochter des Ehepaares Josef und Berta Hammel auf die Welt. Sie heiratete am 17. Mai 1923 ihren sehr viel älteren, ebenfalls in Freistett 1888 geborenen Cousin Julius Hammel, der von Beruf Viehhändler war. Nach ihrer Hochzeit ließen sich die beiden zunächst in Baden-Baden nieder. Hier brachte Irma ihre erste Tochter Hedwig, genannt Hedy, am 22. Februar 1924 zur Welt.

Im Oktober desselben Jahres zog die dreiköpfige Familie nach Offenburg. Ihren Wohnsitz nahmen sie in der Gaswerkstrasse 17, wo der Ehemann auch seinen Viehhandel betrieb. Die Familie lebte in einem geräumigen Haus mit acht Zimmern, das in gutbürgerlichem Stil eingerichtet war. Am 10. September 1925 gebar Irma hier ihre zweite Tochter Ingeborg Lore.

Nach der Machtübertragung an die Nazis im Januar 1933 wurden Menschen jüdischen Glaubens unterdrückt, ihre Geschäfte beschädigt und ihre Verdienstmöglichkeiten immer mehr eingeschränkt. So kam auch die Familie Hammel in finanzielle Schwierigkeiten. Nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, als in Deutschland die Synagogen brannten, holten die Nazis auch Irmas Ehemann Julius ab und nahmen ihn in „Schutzhaft“.  Die jüdischen Männer wurden in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Kurz nach der Freilassung von Julius Hammel am 10. Dezember 1938 beantragte die Familie die  Ausreise in die USA. Der Antrag konnte aber wegen fehlender Unterlagen nicht fertiggestellt werden.

Am berüchtigten 22. Oktober 1940 wurde Irma mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern in das Lager Gurs nach Südfrankreich deportiert. Im September 1941 wurden sie ins Lager Rivesaltes gebracht, aus dem die beiden Töchter glücklicherweise im Mai 1942 entlassen wurden. Sowohl Hedy als auch Ingeborg gelang es, in die Vereinigten Staaten nach New York zu entkommen. Irma Hammel und ihr Mann jedoch wurden zunächst weiter in Rivesaltes gefangen gehalten und am 11. September 1942 dann ins Durchgangslager Drancy bei Paris deportiert. Hier verlieren sich ihre Spuren. Da von Drancy aus die Transporte in die Vernichtungslager im Osten erfolgten, muss man davon ausgehen, dass das Ehepaar Hammel wenige Tage später in eines dieser KZ gebracht und dort vermutlich direkt nach Ankunft ermordet wurde. 

Durch Beschluss des Amtsgerichts Offenburg vom 29. August 1949 wurden Irma und Julius Hammel für tot erklärt. Als Todeszeitpunkt wurde der Tag der deutschen Kapitulation, der 8. Mai 1945, festgelegt.

Die beiden Töchter Hedy, später verheiratete Kahn und Ingeborg, später verehelichte Friedmann, blieben in den USA und bekamen dort ihre Kinder.  

Asli Dogan
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2017/18

Neu, Clementine (geb. Wolf)

Clementine Neu wurde am 24. Februar 1886 in Wangen am Bodensee als Tochter von Nanette und Ludwig Wolf geboren. Sie hatte mehrere Geschwister, darunter Dr. Nathan Wolf, der in Offenburg seinerzeit ein sehr bekannter und angesehener Arzt war. Im Oktober 1902 trat sie in Basel in die höhere Töchterschule ein. Diese Schule ist heutzutage mit einem Mädchengymnasium vergleichbar. Dort besuchte sie dann u. a. 2 Jahre lang die Fortbildungsklasse der kaufmännischen Abteilung. Ihr Abschlussdiplom erhielt sie 1905. Während ihrer Ausbildung hier lernte sie Englisch, Französisch und Italienisch.

Im Jahr 1920 heiratete Clementine den 1874 geborenen Offenburger Kaufmann Emil Neu. In die Ehe brachte sie 25 000 Mark ein, zur damaligen Zeit ein kleines Vermögen, welches ihr Ehemann sogleich in sein Geschäft steckte.

Clementine war die zweite Ehefrau ihres Mannes. Sie musste sich daher auch um die Kinder aus seiner ersten Ehe kümmern: Um Erwin, geboren 31.5.1908, um Alice, geboren 22.9.1909, und um Erich, geboren 8.5.1912. Die Kinder genossen eine standesgemäße Erziehung: Erwin studierte wie seine Schwester nach dem Abitur Zahnmedizin und Erich arbeitete nach der Schule bei seinem Vater im Geschäft mit.

Im Jahr der Hochzeit, 1920, eröffnete ihr Mann eine Wäschefabrik in der Wasserstraße, in der Clementine mitarbeitete. Sie stand ihrem Mann bei der Führung des Geschäftes zur Seite und war dabei selbständig tätig. So überwachte sie die Angestellten, beschäftigte sich mit Kalkulationen, Korrespondenzen, Einkauf, Verkauf sowie Versand.

Zunächst wohnte das Ehepaar in der Ortenbergerstraße Nr. 46. Auf eine gute Wohnungseinrichtung legte Clementine sehr viel Wert. Auch hatten die Neus ein Dienstmädchen angestellt, welches sich um den Haushalt kümmerte und das Kochen besorgte. Nahezu jeden Tag fuhren Clementine und Emil mit dem Auto – damals ein ausgesprochener Luxusgegenstand – zur Arbeit ins Geschäft. Es ging ihnen sehr gut.

Nach der Machtübertragung an die Nazis bekamen die Neus allerdings schnell die Feindseligkeit der neuen Machthaber zu spüren: Ihr Geschäft wurde boykottiert, und die Einnahmen sanken mehr und mehr. Clementine brauchte immer weniger mitzuarbeiten. Kurz nach der Verhaftung ihres Mannes nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde sie von einem Bevollmächtigten der Leinenweberei Walter Clauß in Offenburg aufgefordert, das Geschäft zu verkaufen. Nur wenige Tage nach dem schrecklichen Pogromerlebnis, am 25.11.1938, verkaufte das Ehepaar seine Wäschefabrik weit unter Preis – die Nazis nannten das „Arisierung“.

Am 22. Oktober 1940 wurde das Ehepaar im Zuge der Aktion gegen pfälzische und badische Juden festgenommen und nach Gurs in Südfrankreich deportiert. Überraschenderweise wurden die Beiden rund zwei Monate später im Dezember von dort in die Stadt Pau entlassen, doch nicht einmal ein Jahr später, am 6. August 1941, erneut in Gurs interniert. In dem Pyrenäenlager herrschten schreckliche Verhältnisse, u. a. mussten sie auf nassem Lehmboden schlafen. Während ihrer Zeit dort brach sich Clementine den Arm, was jedoch keine weiteren negativen gesundheitlichen Folgen nach sich zog. Am 31. März 1942 wurden sie und ihr Mann abermals entlassen. Dieses Mal konnten sie in die Schweiz fliehen, wo sie zwar auch für kurze Zeit in einem Lager interniert wurden, aber in der Sicherheit der Eidgenossenschaft das Kriegsende abwarten konnten. Im Januar 1943 zogen sie nach Stein am Rhein, wo bereits Clementines emigrierter Bruder Dr. Nathan Wolf und ihre Schwester Selma Wolf lebten.

Am 24. Dezember 1944 starb dort ihr Ehemann Emil. Schon bald danach war Clementine mittellos und auf stetige Unterstützung von Verwandten und Freunden angewiesen.
Im Juni 1947 konnte sie nach New York zu ihrem Stiefsohn Erich Neu ziehen. Hier lebte sie in bescheidenen Verhältnissen in der Greenvale Avenue im Stadtteil Yonkers. Im September 1951 verließ Clementine Amerika wieder und kehrte – wohl aus Heimweh – in ihren Geburtsort Wangen zurück.

Wegen des erlittenen Freiheitsentzuges, insgesamt 54 Monate und 17 Tage in verschiedenen Nazilagern, erhielt sie von der Bundesrepublik Deutschland Haftentschädigung. Heftiger Gelenkrheumatismus, der sich im Alter immer stärker bemerkbar machte, wurde hingegen nicht als eine Gesundheitsschädigung infolge der langen Haft anerkannt. Am 15. Dezember 1971 starb Clementine. Sie wurde in Kreuzlingen in der Schweiz neben ihrem Ehemann Emil Neu begraben.

 

Levi, Fanny (geb. Bikard)

Fanny und Walter Levi_Foto: Carla Steuer

Fanny u. Walter Levi; Foto: Carla Steuer

Fanny Levi, Mädchenname Bikard, wurde am 3. August 1861 in Schleißheim bei München geboren. Im Jahre

1881 heiratete sie den Offenburger Kaufmann Karl Levi und zog zu ihm in die Hauptstraße 88. Zusammen mit Siegfried Hauser eröffnete Karl Levi ein Modegeschäft, das bald zu einem der ersten Textilhäuser der Stadt aufstieg. Am 19. Juni 1882 brachte Fanny ihren Sohn Walter zur Welt, am 30. Juli 1883 ihren zweiten Sohn Albert und 4 Jahre später ihren dritten Sohn Julius. Am 7. November 1919 verstarb ihr Mann Karl Levi, das Modegeschäft wurde von seinem Kompagnon Hauser weitergeführt.

Im Jahre 1927 zog Fanny mit ihren Söhnen Walter und Julius nach Berlin in die Reichstraße 132 im Ortsteil Westend. Dort bewohnten die drei eine „Fünf-Zimmer-Wohnung“ mit „großen und wertvollen Beständen“, wie das Landesarchiv Berlin auf Anfrage mitteilte. Warum Fanny Levi mit ihren Kindern gerade nach Berlin zog, muss ungeklärt bleiben. Weitere Recherchen ergaben, dass sie 1939 in ein jüdisches Altersheim in der Langenstraße in Lichterfelde-Ost zog. Dort wollte sie ihren Lebensabend verbringen, doch nach nur einjährigem Aufenthalt wurde das Altersheim von der SS beschlagnahmt. Wie alle anderen Bewohner musste Fanny das Heim verlassen. Sie fand in der jüdischen Pension Schmal Unterschlupf, bevor diese ebenfalls von der SS übernommen wurde. Als letzter Wohnsitz von Fanny Levi lässt sich die Meineckstraße 26 in Charlottenburg feststellen. Von dort wurde sie am 19. August 1942 nach Theresienstadt deportiert und gilt von diesem Zeitpunkt an als verschollen. Ihr Todesdatum wurde nach dem Krieg durch Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg auf den 31. August 1942 festgesetzt.

Jana Schwab
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2017/18

Cohn, Esther

Am 18. September 1926 erblickte Esther Lore Cohn als älteste Tochter von Sylvia und Eduard Cohn in Offenburg das Licht der Welt. „Ein rosa Strampelchen, 6 Pfund 350 gr. schwer, mit hellen, braunen Guckerchen, vielen braunen Härchen, einem Stupsnäslein, einem süßen fein geformten Mündchen, das zur Begrüßung die ersten hellen Schreie hören ließ, ohne sich lang bitten zu lassen…“ So beginnt das Tagebuch für Esther, das Mutter Sylvia gleich nach der Geburt liebevoll für ihre erste Tochter anlegte.

Durch diese Tagebucheinträge, die Mutter Sylvia, aber auch Vater Eduard ausführlich pflegten, sind der heutigen Generation alltägliche, aber auch besondere Begebenheiten aus dem Familienleben und -schicksal der Familie Cohn überliefert worden. Vor allem aber auch dienen diese Einträge oft als wichtige Zeugen der Geschichte der einst großen Jüdischen Gemeinde Offenburgs.

Esther Cohn entstammte aus einer alten Offenburger Kaufmannsfamilie. Die Großeltern waren der aus Unterfranken stammende Weinhändler Eduard Oberbrunner (1860 – 1932) und seine aus Offenburg gebürtige Frau Emma, geb. Kahn (1865 – 1922). Eduard Oberbrunner kam 1884 nach Offenburg und gründete im gleichen Jahr seine Weinhandlung und Branntweinbrennerei. Esthers Mutter Sylvia (geb. 1904) war die jüngste von fünf Töchtern. An ihrem 21. Geburtstag, dem 5. Mai 1925, heiratete Sylvia den Kaufmann Eduard Cohn aus Westpreußen.

Im Jahr darauf wurde Esther Lore geboren. Myriam Ruth (geb. 1929) und Eva Judith (geb. 1931) vervollständigten das Glück der jungen Familie Cohn, das ihnen jedoch nur für kurze Zeit gegönnt war. Denn bereits im zarten Alter von vier Jahren erfolgte der erste tragische Einschnitt in das so gut behütete und liebevoll gepflegte kleine Leben der Esther Cohn, die als Augapfel ihrer Eltern galt.

Ab dem Herbst 1930 musste die kleine Esther mit mehreren schweren Krankheiten kämpfen. Einer Keuchhustenerkrankung folgten Diphterie und Spinale Kinderlähmung und schließlich warf eine doppelseitige Lungenentzündung das Kind erneut zurück auf die Grenze zwischen Leben und Tod. An einem Bein und einem Arm bemerkte man später noch die Folgen der schweren Erkrankung. Esther musste einen orthopädischen Schuh tragen und konnte nicht mehr so frei springen, spielen und sich bewegen.

Im Jahr 1931 musste Esthers Großvater Eduard Oberbrunner mit seinem Geschäft Vergleich anmelden. Eduard Oberbrunner war schon lange leidend, aber sicher hat der Zusammenbruch seines Geschäftes seinen schnellen Tod 1932 mit verursacht.

Nach und nach kehrte wieder Ruhe und Alltag in der Familie ein. In der Zeit von Hitlers Machtergreifung 1933 bis 1938 arbeitete Vater Eduard als Handelsvertreter und war oft unterwegs auf Reisen. Mutter Sylvia versorgte zu Hause die drei Kinder. Die Geschäfte gingen schlecht und schlechter. Sorgen bestimmten den Alltag und das Denken – auch das der Kinder.

Auch in Offenburg wurde am 10. November 1938 die Synagoge zerstört und alle männlichen Juden über 18 Jahre zusammengetrieben, für einen Tag ins Gefängnis eingesperrt und tags darauf ins KZ Dachau deportiert. Darunter befand sich auch Vater Eduard. Esthers Vater war vom 10.11. bis 20.12.1938, also für sechs lange Wochen, in Dachau eingesperrt. Er wurde entlassen, mit der Auflage, dass er binnen sechs Monaten Deutschland zu verlassen habe und nicht über seine Inhaftierung sprechen dürfe. Im Mai 1939 gelang endlich dem Vater die Emigration nach England. Von dort aus versuchte er alles, um seine Familie ebenfalls aus Deutschland heraus zu holen. Mutter Sylvia blieb gar nicht gerne alleine mit den drei Töchtern in Offenburg zurück.

Schließlich konnte sie mit den drei Mädchen am 3.10.1939 nach München in Sicherheit gebracht werden. Esther kam in München in das jüdische Kinderheim Antonienstraße, da der Schulweg von fünf Kilometern täglich mit der Straßenbahn einfach zu beschwerlich war. Zum Eintritt in das Kinderheim wünschte sich Esther von ihrer Mutter ein Tagebuch. Das bekam sie zu Chanukka geschenkt. Im März 1940 reiste Mutter Sylvia mit Eva und Myriam nach Offenburg zurück, da die Gefahr dort vorerst vorüber war. Esther hingegen blieb in München im Antonienheim. Sie sollte es dort besser haben als in Offenburg, wo sie ständig mit der Bahn zur jüdischen Schule nach Freiburg hätte fahren müssen. Eva und Myriam fuhren wieder, wie vor ihrer Münchener Zeit, von Offenburg nach Freiburg zur Schule.

Im Oktober 1940 wurden Sylvia und ihre Töchter Eva und Myriam zusammen mit ca. 6500 jüdischen Menschen aus Baden und der Pfalz nach Gurs in Südfrankreich deportiert, von dort nach Rivesaltes. Mutter Sylvia schickte man über Drancy nach Auschwitz, wo sie am 30.9.1942 ermordet wurde. Eva und Myriam gelang die rettende Flucht in die Schweiz, dank einer Hilfsorganisation. In einem Kinderheim in Ascona blieben sie bis Kriegsende und konnten mit Vater Eduard schließlich in England ein Wiedersehen erleben.

Esther war im Münchener Kinderheim bestens untergebracht. Ihrem Tagebuch widmete Esther ihre ganzen Gedanken, Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte. Des Weiteren beschrieb sie detailliert den Alltag im Kinderheim und ihre Mitbewohner. Esther war sehr oft krank. Doch sie haderte nicht mit ihrem Schicksal. Ihre größte Sorge galt immer nur ihrer Familie und am wenigsten ihrer eigenen Person. Im Dezember 1940 zog sich Esther bei einem Sturz einen Unterschenkelbruch zu. Selbst von dort aus der Klinik kümmerte sie sich um alle anderen. „Inzwischen sind wir nun besternt worden“, so sachlich klang der Eintrag von Esther am 21.10.1941, „…und es ist gar nicht schlimm, im Gegenteil, die Leute sind sehr sehr nett zu uns.“

Im März 1941 machte sie Ihren Abschluss an der Israelitischen Volksschule mit besten Noten. Esther durfte sogar als besondere Auszeichnung für ihre erbrachten Leistungen die Abschlussrede halten. Nachdem Esther die Schule beendet hatte, durfte sie im Kinderheim bleiben und wurde dort zunächst im Kindergarten tätig. Es traf sie sehr, als am 20.11.1941 insgesamt 21 Kinder aus dem Heim deportiert wurden. Das Kinderheim Antonienstraße musste am 11.4.1942 geräumt werden und die Kinder und Jugendlichen mit ihren Erziehern wurden in der Knorrstraße 148 in dem „Judenlager Milbertshofen“ untergebracht.

„Ihr braucht Euch gar keine Sorgen um mich zu machen, denn mir geht‘s prima, ganz bestimmt“, so beendet Esther einen Brief an eine Tante, den sie am 14. April 1942 schrieb. Esther hatte die außergewöhnliche Gabe, jeder noch so aussichtslosen Situation irgendetwas Positives abzugewinnen und dadurch ihre Mitmenschen immer wieder zu motivieren, zu beruhigen und wieder aufzubauen. In der Woche nach dem 2. Juni 1942 wurden das gesamte Kinderheim sowie auch kranke Leute aus der Siedlung zum Abtransport bestimmt. Nur wenige Monate blieb Esther in Milbertshofen. Am 29. Juli 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert. Zwei Jahre später wurde sie mit dem Transport vom 16. Oktober 1944 nach Auschwitz gebracht. Dort endete das Leben einer mutigen und bewundernswerten jungen Frau, die trotz ihres großen Leidens und der grässlichen Lage, in der sie sich befand, eine besondere Einstellung zum Leben hatte.

Isabella Busch
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2007