Maier, Hans Louis

Hans Louis Maier wurde am 28.11.1910 als eines von zwei Kindern in Offenburg geboren. Zusammen mit seiner vier Jahre jüngeren Schwester Margarete, genannt Gretel, und den Eltern Jakob und Fanny wuchs er in Offenburg in der Kornstraße auf. Der Vater Jakob führte erfolgreich ein Konfektionsgeschäft und war in Offenburg nur als ‚Hosen-Maier‘ bekannt.
 
Nachdem Hans vier Jahre die Volksschule besuchte, machte er 1929 sein Abitur am Schiller-Gymnasium. Dies ermöglichte ihm ein Medizinstudium an der Uni Freiburg.
1931 wechselte er jedoch an die Uni Würzburg und ein Jahr später an die Uni Jena. Insgesamt studierte er sieben Semester Medizin. Es war ihm aber nicht möglich, sein Studium zu beenden. Schon 1933 war die Judenfeindlichkeit so groß, dass es Hans Louis als jüdischem Bürger bei einem Medizinpraktikum im Krankenhaus nicht erlaubt war, bei der Patientenvisite dabei zu sein. Daher verließ Hans Louis 1933 Deutschland, um in Straßburg weiter zu studieren. Aber auch das wurde ihm verweigert, da dafür das französische Abitur nötig gewesen wäre. Frankreich wieder zu verlassen, kam jedoch nicht in Frage, also zog er nach Paris und verdiente mit Gelegenheitsjobs seinen Lebensunterhalt.
 
1937 erhielten die Eltern eine Hochzeitseinladung von Hans. Daraufhin beantragen Jakob und Fanny einen Ausreiseantrag für den 12. August 1937, an dem die Hochzeit stattfinden sollte. Weitere Informationen über die Hochzeit und die Ehe der beiden deutschen Auswanderer sind nicht bekannt, außer, dass die Ehe später wieder geschieden wurde. Möglicherweise scheiterte die Beziehung auch an Hans’ Internierung 1939 zu Beginn des Krieges.
 
Schon vor Kriegsausbruch hatte Hans mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Er erhielt zum Beispiel nie eine Arbeitserlaubnis, die ihm einen festen Arbeitsplatz gesichert hätte. Bei Kriegsausbruch wurde er als feindlicher Ausländer hinter Stacheldraht gefangen gehalten; zuerst im Stadion Colombes, danach in Marolles bei Blois in einem militärisch bewachten Lager. Dann wurde er vor die Entscheidung gestellt, gefangen zu bleiben oder sich bei der Fremdenlegion zu melden. Er entschied sich für die Fremdenlegion und wurde 1940 zusammen mit 240 Landsleuten als Legionär nach Afrika entsandt. Er wurde nie als vollwertiger Legionär angesehen und ihm wurde auch nie ein Gewehr anvertraut.
 
Im Mai 1940 wurde er dann zusammen mit anderen Deutschen nach Ouargla in die „Compagnie de travailleurs étrangers n°2 Polomb-Bechau“ gebracht. Die Kompanie war besiedelt von Deutschen, Spaniern und Menschen aus vielen anderen Nationalitäten, darunter zahlreichen Juden. Der Ort im tiefsten Südosten der Sahara war für ihn die „Hölle auf Erden“. Schon nach einigen Wochen wurden 150 von den 200 Männern wegen Malaria oder Ruhr zurück geschickt. Trotz schwerer Malariaanfälle hielt Hans es in der Sahara aus. Das Klima war für den Europäer unerträglich und die unzureichende Ernährung und die schlechten hygienischen Verhältnisse zehrten zusätzlich an ihm. Die Arbeiter mussten teilweise in Kohlegruben, teilweise im Wegebau arbeiten. Hans wurde im Straßenbau eingesetzt. Er hatte Glück, Lastwagen fahren zu können und nicht mit Hacke und Schaufel arbeiten zu müssen.

Seine Malariaanfälle häuften sich und am 26. August 1941 wurde bei ihm zusätzlich Ruhr diagnostiziert. Anfang Februar 1943 wurde das Arbeitslager dann von englischen Behörden aufgelöst.
 
Am 1. April wurde Hans entlassen, um der englischen Armee beizutreten. In der englischen  Armee blieb er bis Mai 1946, zuerst in Algerien, später in Italien. Er musste zwar noch als Soldat dienen, war nach der harten Zeit im Arbeitslager nach eigener  Aussage aber wieder ein freier Mensch. 1946 kehrte er nach Paris zurück. Dort war er dann als Vertreter für verschiedene französische Firmen tätig, unter anderem auch als Reisevertreter. Doch keiner der Jobs konnte ihn erfüllen und so plante er bald, nach Offenburg zurück zu gehen. Hier wollte er sich eine neue Existenz aufbauen. Ihm gefiel es in Frankreich nicht und er fühlte sich immer mit Offenburg verbunden. Seine letzte Tätigkeit als Vertreter in Frankreich hatte er bei der Firma SDN (Société de Distribution de Nouveautés), die in Frankreich deutschen Schmuck vertrieb.
 
Nachdem er sich viele Jahre mit einer Rückkehr nach Deutschland beschäftigt hatte und auch jedes Jahr mehrmals Urlaub in Offenburg gemacht hatte, verwirklichte er am 16. April 1958 sein Vorhaben, nach Offenburg überzusiedeln. Aus Frankreich brachte er ein Startkapital von 2000 FF mit. Um sich jedoch ein Geschäft aufzubauen, benötigte er zusätzlich Entschädigungsgeld für die überstandenen Qualen in Frankreich und für die fehlende Ausbildung. Da der Prozess jedoch sehr langwierig und schwierig war, musste er sich sein Geschäft ohne weitere Unterstützung aufbauen. Deshalb mietete er ein Bürozimmer in der Friedrichstraße in Offenburg. Er verkaufte seine Musterkollektion mit Perlenimitaten, die er aus Frankreich mitbrachte und Schmuckwaren von deutschen Firmen, insbesondere aus Pforzheim. Seine Mittel waren sehr gering und deshalb musste er stark haushalten. Am 1. Oktober 1959 musste er sein Geschäft jedoch wieder abmelden, da es nicht florierte und er sogar Verluste machte. Obwohl er den Entschluss gefasst hatte, nicht wieder nach Frankreich zurückzukehren, könne er in Deutschland nicht Fuß fassen, ging er wieder nach Frankreich zurück, da ihm eine Festanstellung bei Automobil Renault angeboten wurde. Sein Traum war es jedoch, wenigstens seinen Lebensabend in seiner Heimatstadt verbringen zu können. Dieser Traum erfüllte sich leider nie für ihn. Sein weiterer Lebensweg ist nicht bekannt.
 
 
Kristin Weber
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2010/11

Kahn, Hannelore Fanny

Foto: Staatsarchiv Freiburgbzw. Chanah Hannelore Avnon

 
Hannelore Kahn wurde am 14. September 1925 geboren. 1933 ging sie auf die Volksschule bis zur 4. Klasse. Anschließend erlaubten es ihr die Gesetze der Nationalsozialisten nicht mehr, die höhere Schule zu besuchen, also lernte sie in der Klosterschule bis zum 10. November 1938 (d.h. Mitte Quarta). Von diesem Datum an konnte sie in Offenburg keine Schule mehr besuchen. Deshalb fuhr sie 1939 für einige Monate nach Karlsruhe in die jüdische Schule, bis kurz vor dem Krieg. Sie selbst schreibt über diese Zeit: „Auch vor 1938 kann ich mich nicht erinnern, dass ich jemals ins Kino oder Schwimmbad oder sonstige Veranstaltungen gehen konnte, da überall geschrieben stand Juden und Hunde unerwünscht.’“
 
Im Januar 1940 ging sie in ein Vorbereitungslager (Zentrum für Israel) in Schniebincken, im September desselben Jahres wurde sie wegen einer Blinddarmoperation zur Erholung nach Hause geschickt. Doch von Erholung war keine Rede, bereits am 22. Oktober 1940 wurde sie zusammen mit ihren Eltern nach Gurs deportiert. Sie war damals fünfzehn Jahre.
 
Die Familie Kahn hatte mehrmals versucht, eine Auswanderung in die USA oder nach Holland zu beantragen. Im April 1939 wurde sogar die Auswanderung nach Amerika bestätigt. Aus nicht bekannten Gründen erfolgte diese aber nicht, und so wurde die Familie, wie fast alle badischen Juden, deportiert und einem grausamen Schicksal überlassen. Von Gurs wurden sie im Frühjahr 1941 in das Lager Rivesaltes deportiert. Während ihre Eltern dort blieben, kam Hannelore am 13. Juli 1942 in ein katholisches Kinderheim in Vic-sur-Cere.
 
In den folgenden zwei Monaten musste sie sich mehrere Male in den Bergen verstecken, da die französische Polizei nach deutsch-jüdischen Kindern suchte. Im September wurde sie in ein Kloster bei St. Flour gebracht, wo sie sich verborgen halten musste, bis die Razzien in dem Bezirk nachgelassen hatten. Anschließend kam sie zurück nach Vic-sur-Cere, wo sie nach einigen Wochen von der jüdischen Untergrundbewegung falsche Papiere bekam, die auf den Namen Helen Keller ausgestellt waren. Mit diesen Papieren kam sie dann bei einigen Familien in mehreren Orten Frankreichs als Hausgehilfin unter, jedoch immer nur für einige Tage. Im Januar oder Februar 1943 kehrte Hannelore abermals nach Vic-sur-Cere zurück, von wo aus sie März oder April in ein anderes Kinderheim in der Nähe von Moutiers zum Arbeiten geschickt wurde. Moutiers war damals italienisch besetzt. Hier gelang es ihr im Sommer 1943 von der Präfektur in Chambery neue Papiere zu erlangen. Auch in Moutiers musste sie sich wegen ihres jüdischen Aussehens und wegen ihrer mangelnden Sprachkenntnisse oft verstecken.
 
Im September 1943 – die Italiener waren inzwischen abgezogen – führte die Gestapo nachts Haussuchungen durch. Um einer Verhaftung zu entgehen musste Hannelore mitten in der Nacht flüchten. Es gelang ihr zusammen mit einer anderen jüdischen Familie in eine kleine Ortschaft zu flüchten und zu entkommen. Sie versteckte sich mit sechs weiteren Personen in einem Zimmer, wo sie sich bis März, also fünf Monate lang, verborgen hielt. Wegen der ständigen Haussuchungen durch die deutsche Gestapo wurde die Situation unerträglich. Hannelore flüchtete deshalb im März 1944 allein nach Lyon. Sie hielt sich zeitweise in Lyon und auch in St. Etienne bei bekannten Familien auf, die ihr Unterschlupf gewehrten und bei denen sie ihren Lebensunterhalt als Aushilfe verdiente. Wegen ihrer mangelhaften Sprachkenntnisse konnte und durfte sie auch hier nicht in die Öffentlichkeit. Trotz vieler Kontrollen und Haussuchungen durch die deutsche Wehrmacht gelang es Hannelore, die Befreiung durch die französische Armee im Sommer 1944 zu erleben.
 
1945 lernte sie in Limoges die jüdische Gemeinde kennen, eine Jugendgruppe, die mit ihr zusammen 1945-46 Pläne für Palästina schmiedete. Ihr Vater war bereits im August 1941 verstorben, die Mutter war 1945 in Auschwitz für tot erklärt worden,  und so hielt sie nichts mehr in Europa. Im Februar 1946 gelangte Hannelore mit einem illegalen Schiff von Marseille nach Israel. Damals war sie 21 Jahre alt. Dort hat sie sich von Hannelore in Chanah umbenannt und sich  mit einer Gruppe von Jugendlichen in dem Kibutz Galed niedergelassen. Der Name Galed steht für die Erinnerung an die Eltern, die in Deutschland vernichtet wurden. Zusammen mit den anderen jungen Leuten lebte sie zunächst in Zelten auf einem Hügel.
 
1947 heiratete Chanah und im Februar 1948 wurde ihre erste Tochter geboren. Das war während des Befreiungskrieges. Der Kibutz war von Arabern umgeben, und viele Männer waren Soldaten, es war also eine schwere Zeit. Doch die Frauen waren stark, und es gab genug zu essen. So überstand Chanah auch diesen Krieg, zusammen mit Mann und Tochter. Sie arbeitete in dem Babyhaus des Kibutz, da in diesem Jahr viele Babys geboren wurden. Das Babyhaus war das erste Haus, in dem es Elektrizität, warmes Wasser und eine normale Toilette gab. Das war nichts Ungewöhnliches am Anfang einer neuen Siedlung. Chanah selbst wohnte mit Mann und Tochter in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Im Dezember 1951 wurde ihre zweite Tochter geboren. Die folgenden 22 Jahre arbeitete sie in der Hühnerzucht des Kibutz. Ihre Töchter wohnten im Kinderhaus. Ein Jahr später bekamen sie eine Zwei-Zimmer-Wohnung und lebten in sehr einfachen Verhältnissen, aber so war die Entwicklung im ganzen Land, besonders im Kibutz. Im selben Jahr fuhr auch schon der Bus, zweimal täglich nach Haifa und einmal täglich nach Tel-Aviv. Das Leben verbesserte sich somit Schritt für Schritt.

1957 war Chanah Avnon  zum ersten Mal wieder in Offenburg und besuchte ihren Vetter, ebenso ihre Schwester in Schweden.

Seit 1972 arbeitet sie aus gesundheitlichen Gründen in der Nähstube des Kibutz. Ihre Töchter sind beide verheiratet und haben ihr sechs Enkeltöchter geschenkt. 1980 zog Chanah Avnon mit ihrem Mann in eine 2 ½ Zimmerwohnung mit Garten, Wiese und Bäumen. Ihr Mann starb 1992. Zwei Jahre später hatte sie Brustkrebs und wurde operiert, sie hat jedoch alles gut überstanden. Heute ist sie 81 Jahre alt. Sie arbeitet täglich 3-4 Stunden in der Nähstube und geht zum Mittagessen in den Speisesaal des Kibutz. Sie schrieb mir in einem Brief:
„Meine schönste Freude sind meine 5 ½ Urenkel und der schöne Familienkreis. Und hier im Kibutz werden wir, die alles aufgebaut haben, gut versorgt. Meine Wohnung ist mit Air-Conditioning gekühlt oder gewärmt, ich habe eine Mikrowelle und einen Kühlschrank mit Gefrierfächern. Auch sehe ich in der Television ‚Wer wird Millionär’.“
 
Chanah Hannelore Avnon musste Furchtbares in ihrer Jugend erleiden. Diese war geprägt von der grausamen Verfolgung durch die Nationalsozialisten und der Vernichtung ihrer Eltern. Trotzdem konnte sie sich durch harte Arbeit in Israel ein erfülltes Leben aufbauen und eine Familie gründen, die sie sehr glücklich macht.
 

Maren Falk
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2006/07

Neu, Erwin

Foto: Stadtarchiv OffenburgAls erstes Kind von Emil Neu, dem Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Offenburg, und Anna Neu (geborene Rosenbaum), wurde Erwin Neu am 31.5.1908 in Straßburg geboren. 1916, als er acht Jahre alt war, starb seine Mutter und wurde in Straßburg begraben. Im Januar 1919 musste die Familie aufgrund ihrer deutschen Staatsangehörigkeit Straßburg verlassen. Sie zogen nach Offenburg in die Ortenbergerstraße 46. Erwin Neu besuchte das Grimmelshausen-Gymnasium, wo er 1926 das Abitur machte. Als Kind zeigte er reges Interesse am jüdischen Glauben und besuchte jede Woche gerne den Gottesdienst.

Nach seinem Abitur studierte er Zahnmedizin in Freiburg und wohnte dort ab dem 1.7.1930 in der Schlossbergstraße 14. Als er seine Studien mit der Promotion 1931 abgeschlossen hatte, blieb er als Assistent für Prothetik an der Universität in Freiburg, pflegte aber weiterhin einen freundschaftlichen Kontakt zu einigen Offenburgern. Zu dieser Zeit ahnten er und seine Familie bereits, dass die Machtergreifung 1933 eine „Bedrohung für die Weimarer Republik“ und einen „Verlust der Freiheit“ darstellen würde. Daher drängte er schon in frühen Jahren seine Eltern – sein Vater hatte wieder geheiratet – Deutschland zu verlassen. Doch diese blieben. Auch  er selbst dachte daran auszuwandern, obwohl es noch keine Übergriffe auf die Offenburger Juden gegeben hatte. Einzig sein Bruder, der Kaufmann war, hatte von „einigen Bemerkungen seiner Kunden“ berichtet.

Am 11. April 1933 wurde Erwin Neu wegen seiner Religionszugehörigkeit bis auf weiteres von seiner Assistentenstelle beurlaubt, obwohl sich seine Freunde für ihn eingesetzt hatten. Zu diesem Zeitpunkt verharmlosten seine „nicht-jüdischen“ Freunde Hitler ihm gegenüber noch: „Er müsse doch nicht alles glauben, was da stehe“.

Im Juni 1933 verließ Erwin schließlich Deutschland Richtung Algerien. Er ging nach Oran, wo er sich durch Kontakte zu einem Verbindungsbruder seines Vaters eine Stelle als Zahnarzt erhoffte. Doch weil sein Diplom nicht anerkannt wurde, kehrte er zwei Monate später nach Europa zurück und siedelte sich in Cannes (Frankreich) an. Im November 1933 fand er eine Zahnarztstelle in Gebweiler (Elsass). Er blieb jedoch nur drei Jahre dort. Mit 300 Mark in der Tasche brach er Ende 1936 nach Paris auf, wo er mit Hilfe eines Universitätsprofessors eine eigene Praxis eröffnete.

Hier lernte er Sofie Katz kennen, die er am 10. April 1938 heiratete. Seine Eltern besuchten ihn mehrmals in Paris. Doch es gelang ihm nicht, sie zu überreden, Deutschland für immer zu verlassen. So wurden sie am 22. Oktober 1940, wie viele der noch in Baden geblieben Juden, nach Gurs deportiert. Als es Clementine, der zweiten Frau seines Vaters, gelang, ihm einen Brief zu schreiben, setzte Erwin Neu alles daran, sie zu befreien. Dies glückte ihm schließlich auch. Er besorgte Clementine und Emil eine private Unterkunft und die französische Staatsbürgerschaft. Auch als sie einige Zeit später wieder kurz vor einer Deportation durch die Nazis standen, gelang es Erwin, sich und seine Eltern in letzter Minute in die Schweiz zu retten. Erwin kehrte jedoch wieder nach Frankreich zurück, wo er sich von 1942 bis 1944 illegal aufhielt.

Nach dem Krieg arbeitete er wieder als Zahnarzt und baute sich eine „zufrieden stellende Existenz in Paris“ auf, wo er auch seine restliche Lebenszeit verbrachte. Seine erste Frau Sofie Katz, mit der er die Tochter Edith Neu (1943-1971) und den Sohn Georges Neu (*1946) hatte, starb 1968. Im Jahr darauf heiratete er Paulette Benroubi.

Ab 1962 nahm er 25 Jahre lang zeitweise eine außerplanmäßige Professorenstelle als Zahnmediziner in Freiburg ein. Gleichzeitig verhalf er deutschen Professoren zu Einladungen auf internationale zahnärzt-liche Kongresse. Er verlor nie den Kontakt zu seinen nichtjüdischen Freunden und versuchte auch den Kontakt zu vertriebenen Offenburger Juden aufzubauen und zu pflegen. Im Ruhestand engagierte er sich für soziale Aufgaben, Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit. Er leitet lange Jahre die Solidargemeinschaft la Solidarité, die sich für christlich-jüdische und für deutsch-französisches Verständnis einsetzte, und wurde später Ehrenvorsitzender. Für sein Engagement erhielt Erwin Neu 1992 vom Offenburger Oberbürgermeister Wolfgang Bruder die Bürgermedaille und 1988 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Am 7. März 2002 starb Erwin Neu mit 94 Jahren in Paris.
Michael Junker
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2006/07

Führung über den Schmieheimer Friedhof

Bei einem Gang über diese ehrwürdige Grabstätte mit ihren über 2500 Gräbern lässt sich die wechselhafte Geschichte der Juden der Ortenau ablesen. Der Friedhof wurde 1682 angelegt, als sich die ersten jüdischen Familien nach den Vertreibungen im Mittelalter wieder in der Region niederlassen durften. Der älteste bekannte Grabstein stammt aus dem Jahr 1701. Er trägt, wie die anderen Grabmale aus dem 18. Jahrhundert, nur hebräische Schriftzeichen. Ab 1850 wird immer mehr die lateinische Schrift für die Grabinschriften verwendet. Interessant sind die Symbole, die manche Grabsteine tragen. Sie verweisen auf die rituellen Aufgaben, denen die Verstorbenen nachgingen aber auch über ihre Ämter im jüdischen Gemeindeleben.
Treffpunkt am Parkplatz beim Friedhof an der Straße von Schmieheim nach Wallburg. Männer müssen eine Kopfbedeckung tragen, gutes Schuhwerk wird empfohlen
Der Eintritt ist frei – Spenden werden erbeten

Dienstag 6. Juni, 18.00 Uhr
Treffpunkt am Parkplatz beim Friedhof an der Straße von Schmieheim nach Wallburg.
Eintritt frei, Spenden erbeten

Neu, Emil

Foto: Stadtarchiv Offenburg

Emil und Clemenitine Neu

Emil Neu war der letzte Vorsteher der jüdischen Gemeinde Offenburgs. Mit seiner Gemeinde eng verbunden verzichtete er darauf, ins Ausland zu emigrieren und blieb stattdessen in Offenburg, um die Gemeindemitglieder bis zuletzt zu unterstützen. So bot er unter anderem Beratungsgespräche an, richtete eine Gemeindeküche ein und gründete zusammen mit seiner Ehefrau Clementine den Frauenverein. In den Lagern Dachau und Gurs konnte er den anderen Gemeindemitgliedern immer wieder Trost spenden und in Gurs konnte er aufgrund seiner Französischkenntnisse die Lage der anderen Offenburger mildern. Sein Engagement im öffentlichen Leben  zeigte sich auch in der Mitgliedschaft in zahlreichen Komitees, so war er Mitglied des Offenburger Bürgerausschusses und Mitglied in der Bnai B´ritn Loge in Karlsruhe.
 
Emil Neu wurde am 19.11. 1874  in Kinderheim in der Pfalz als drittes Kind des jüdischen Gemeindeschreibers Simon Neu und dessen Frau Fanny geboren. Er besuchte die örtliche Volksschule und dann auf Empfehlung der Lehrer das Humanistische Gymnasium in Worms, wo er die „Einjährige Reife“ erlangte. Danach ging er für einige Jahre an verschiedenen Orten im Rheinland in Lehre, um kaufmännische Kenntnisse zu erwerben. Mit 32 Jahren zog Emil Neu schließlich nach Straßburg, das seit dem Krieg 1870/71 zu Deutschland gehörte. Dort baute er eine Wäschefabrik auf und eröffnete ein Aussteuerartikelgeschäft. Nach dem Vorbild seines Vaters engagierte er sich in der jüdischen Gemeinde. 1907 heiratete er Anna Rosenbaum aus Kaiserslautern. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor: Erwin, Alice und Erich. Im Ersten Weltkrieg war er zwischen 1916 und 1917 im Straßburger Regiment als Sanitäter tätig. 1916 starb Anna Neu und wurde auf dem jüdischen Friedhof Kronenburg in Straßburg bestattet.
 
Nachdem das Elsass wieder französisch geworden war, wurde Emil Neu ausgewiesen und zog im Januar 1919 in die nahe gelegene Stadt Offenburg. Dort wohnte er ab dem 8. Februar zunächst in der Hauptstraße 55 und baute sich in der Hauptstraße 87 eine neue Existenz auf. Er eröffnete ein Textilwarenlager/
-großhandlung mit einer Wäschefabrik. Am 4. Oktober des gleichen Jahres zog Emil Neu dann in die Ortenberger Straße 46. Ein Jahr später heiratete er am 30. Juni ein zweites Mal: Clementine Wolf aus Wangen. Sie zog dann mit den Kindern zu Emil nach Offenburg. Wie auch schon in Straßburg brachte sich Emil Neu in den folgenden Jahren in der jüdischen Gemeinde ein und wurde daraufhin 1922 zum Parnes (= Vorsteher) ernannt. Unter seiner Regie wurden der Umbau und die Renovierung der Synagoge vorgenommen, außerdem richtete  er eine Gemeinde-küche ein, gründete mit seiner Gattin den Frauenverein und war als vielfältiger Ansprechpartner für seine Gemeinde tätig.
 
In den folgenden Jahren zog die Familie noch dreimal um (15. 11. 1931 Augustastraße 3, 1.4. 1937 Wasserstraße 5, 6.5. 1937 Weingartenstraße 19). In der Nacht vom 9. auf den 10. November erlebte Emil Neu wie alle Juden in Deutschland die Reichspogromnacht und die darauffolgenden Novemberpogrome, in deren Verlauf er mit den anderen männlichen Juden für 10 Tage nach Dachau verschleppt wurde. In Folge der politisch erzwungenen Arisierung musste Emil Neu sein Geschäft aufgeben. Dennoch blieb er in Offenburg, um für sich und andere nach Emigrationsmöglichkeiten zu suchen, was aus dem regen Briefwechsel mit dem Emigrationsberater Hugo Schwarz aus Villingen hervorgeht. Die Ergebnisse waren jedoch enttäuschend, da Fahrt und Kaution die Mittel der meisten Gemeinde-mitglieder überstiegen.
 
Am 22. Oktober 1940 wurde Emil Neu mit seiner Frau Clementine und 6504 anderen badischen und pfälzischen Juden, unter denen sich auch Clementines siebenundachtzigjährige Mutter Nanette Wolf-Picard befand, in das Lager Gurs in die Pyrenäen deportiert. Besonders beachtenswert ist hier, dass  Emil Neu vor der Deportation erwirkte, dass er für die Offenburger Gemeinde noch Lebensmittel einkaufen durfte, wodurch der erste Hunger auf der Fahrt gestillt werden konnte.
 
Am 8. Dezember 1940 erreichte Erwin, Emils ältester Sohn, der mittlerweile in Paris lebte, dass Emil, Clementine und ihre Mutter das Lager verlassen durften, Frau Wolf-Picard reiste zu ihrem Sohn Dr. Nathan (Natus) Wolf nach Stein am Rhein, Emil und Clementine wurden von Erwin in der 3 Avenue de Belgique privat untergebracht und erhielten die französische Staatsbürgerschaft. Aus dem Lager befreit vergaß Emil Neu seine Gemeinde, die noch gefangen war, jedoch nicht. Es bestand ein reger Briefwechsel mit den Verbliebenen im Lager und Emil Neu sandte Hilfspakete dorthin. 1942 mussten Emil und Clementine wieder in das Lager zurück. Doch als im Juli 1942 die Deportationen über Drancy nach Auschwitz begannen, gelang es Erwin, seine Eltern in letzter Minute zu retten.
 
Emil Neu und seine Frau flohen nun ebenfalls in die Schweiz. Dort angekommen mussten sie nochmals für Wochen in das Lager Büren. Nachdem sie Kautionen in Höhe von 30.000 Franken entrichtet hatten, konnten sie im Januar 1943 auch bei Clementines Bruder unterkommen. Dort starb Emil Neu dann am 24.12. 1944 im Alter von 70 Jahren. Bestattet wurde er auf dem Friedhof in Kreuzlingen.
 

Axel Bayer
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2006/07

Haberer, Dr. Max

Haberer Max, Foto: Stadtarchiv OffenburgMax Haberer ist eines von fünf Kindern des Kaufmanns Karl Haberer III. und seiner Frau Marie Haberer (geb. Kornmann). Er wurde am 27.07.1893 in Friesenheim geboren.

Max besuchte die Offenburger Oberrealschule und erhielt im Juli 1913 das Reifezeugnis, woraufhin er zwei Semester Rechtswissenschaften an der Universität Freiburg studierte. Bei Kriegsausbruch meldete Max sich freiwillig und wurde mit seiner Truppe auf allen Kriegsschauplätzen (außer Russland) eingesetzt. Er erhielt das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse und die Badische Verdienstmedaille. Nach Kriegsende nahm er sein Studium an der Universität Freiburg für zwei Semester wieder auf und wechselte später an die Heidelberger Universität, wo er nach drei weiteren Semestern im Oktober 1920 sein Referendarsexamen ablegte.

1922 heiratete er Laura Wertheimer und wurde im März 1923 als Rechtsanwalt zugelassen. Am 05.02.1925 kam ihr erster Sohn Martin in Heidelberg zur Welt, viereinhalb Jahre später, am 13.08.1929, wurde Otto geboren.

Beruflich war Max Haberer bis zum Einsetzen der Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten überaus erfolgreich und angesehen. Er war neben seiner Anwaltstätigkeit ab 1932 Leiter des jüdischen Wohltätigkeitsvereins von Offenburg, der zu diesem Zeitpunkt etwa 80 Mitglieder zählte. Aufgrund seiner Kriegsteilnahme durfte er auch nach dem 1933 erlassenen Berufsverbot die Praxis weiter betreiben, die Zahl seiner Klienten sank jedoch bis 1935 auf fast null. Eine vertrauliche Mitteilung, dass seine Verhaftung bevorstünde, veranlasste Max Haberer im August 1935 zur Flucht in die Schweiz; einen zuvor von seinem Konto abgehobenen Betrag von etwa 15.000 Reichsmark ließ er in Gewahrsam seiner Sekretärin zurück. Sein älterer Bruder Leo wurde von der Gestapo als Repressalie verhaftet, worauf Max Haberer nach Deutschland zurückkehrte und hier wegen versuchten Devisenvergehens zu 1 ½ Jahren Haft und zur Zahlung von insgesamt etwa 13.000 RM verurteilt wurde.

Nach seiner Freilassung im Juni 1937 beantragte er für sich und seine Familie ein Ausreisevisum und emigrierte im Dezember 1937 nach New York, was ihn einen Großteil seines Vermögens gekostet hat, das er zur Deckung der Reisekosten und Bezahlung der Reichsfluchtsteuer aufwenden musste. Am 14.09.1939 wurde ihm und seiner Familie die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Der ältere Sohn Martin starb als US-Soldat am 14. Januar 1945 im Alter von 19 Jahren in der Schlacht um Bastogne (Belgien) im Zuge der Ardennenoffensive.

Max Haberer konnte in New York seiner Anwaltstätigkeit nicht mehr nachgehen und war gezwungen, seinen Lebensunterhalt durch Hausieren und später durch Fabrikarbeit zu bestreiten. Sein Verdienst reichte jedoch bei Weitem nicht aus, um die Familie zu ernähren. “Aufregung der Flucht [in die Schweiz] und Rückkehr, Verhaftung und Verurteilung, die Gefängniszeit und die ungewohnte körperliche Arbeit in Amerika sowie Demütigung, Erniedrigung und die bedrückende Unsicherheit, ob es ihm gelingen werde, die Familie zu unterhalten, verursachten“ laut des behandelnden Arztes „blutende Magengeschwüre und eine Blutdrucksteigerung“, weswegen die Arbeitszeit von Max Haberer zunehmend von Krankenhausaufenthalten unterbrochen wurde und er stark in seiner Erwerbsfähigkeit eingeschränkt wurde. Zur Versorgung der Familie mussten deshalb auch seine Frau und sein Sohn Otto arbeiten gehen. Seit seiner Auswanderung war er nicht in der Lage, sich eine ausreichende, seinen früheren Lebensverhältnissen auch nur annähernd entsprechende Existenz aufzubauen. Er starb am 12.11.1955 in einem Krankenhaus in New York City und ist auf einem Friedhof bei New Jersey begraben.

Mein besonderer Dank richtet sich an Max Haberers Enkel Martin Haberer aus Florida, USA, den ich übers Internet kennengelernt habe und der mir viele Informationen zu Max Haberers Leben nach der Auswanderung sowie Fotos von ihm und seiner Familie zukommen ließ.

 
Lisa Decker
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2010/11

Mikwe Offenburg, Foto: Steffen Krauth

Freie Besichtigung der Mikwe Offenburg

In Deutschland sind nur wenige jüdische Ritualbäder bekannt, die vor dem 18. Jahrhundert errichtet wurden. Die Offenburger Mikwe zeichnet sich durch eine einzigartige Bauweise aus, die immer noch Rätsel aufgibt. 1784 wurde das Gebäude errichtet, über dessen Gewölbekeller der Zugang zur Mikwe möglich ist. Das Bad wurde damals zum Brunnen umgenutzt. Der ursprüngliche Sinn geriet in Vergessenheit. Die neue Präsentation greift drei Themenkomplexe auf: Geschichte der Offenburger Juden vom Mittelalter bis in die Neuzeit, Baugeschichte und Datierungsprobleme, -Funktion eines jüdischen Ritualbads.
Öffnung in Kooperation mit dem Jugendbüro / Mehrgenerationenhaus Offenburg.

Sonntag, 19. Mai 2019, 13-17 Uhr
Offenburg, Eingang Glaserstraße 8 (Zugang über Bäckergasse oder Steinstrasse)
Öffnung in Kooperation mit dem Jugendbüro / Mehrgenerationenhaus Offenburg.
Eintritt frei

jüdisches Lehrhaus Emmendingen

Emmendingen: Führung für Kinder

Museumspädagogisches Programm für Kinder mit der Kuratorin Monika Miklis: Eine Führung für Kinder, in der alle Sinne angesprochen werden Fühlen, Riechen, Hören, Sehen und natürlich auch Schmecken!:
Weitere Veranstaltungen in dieser Reihe: Flyer_JüdischesLehrhaus

Sonntag, 26. Mai 2019, 11.45 Uhr
Anmeldung bis zum 20. Mai 2019
Jüdisches Museum Emmendingen (Mikwe), Schlossplatz 7
Eintritt frei, Spenden erbeten

Meyer, Ruth (gesch. Poryle, verh. Gerritsen)

Ruth Meyer wurde am 11.12.1913 in Großsteinheim, Hessen geboren. Sie war die Tochter von August Meyer und Marie Meyer, geb. Lion. 1920 zog die Familie von Ettenheim, der Geburtsstadt ihrer Mutter, nach Offenburg, wo sie mehrmals umzogen.

Ihr Vater führte in Offenburg ein Glas- und Porzellanwarengeschäft, in dem ihre Mutter aushalf. Im Alter von zwei Jahren, am 7.09.1915 bekam Ruth einen Bruder namens Walter Max. Sie und ihre Familie waren jüdisch. Ihre Kindheit verbrachte Ruth in Ettenheim und Offenburg, hier absolvierte sie an der Mädchen-Realschule die Mittlere Reife. Sie besuchte in den Jahren 1930 bis 1931 die Höhere Handelsschule in Karlsruhe und machte dort eine Ausbildung zur Auslandskorrespondentin. Mit diesem Abschluss arbeitete sie als Bankbeamtin bei der Deutschen Bank und Diskonto-Gesellschaft in Offenburg. Damals hatte sie ein Jahreseinkommen von 3.000 Reichsmarkt (RM). Am 31.12.1933 musste sie wegen ihrer jüdischen Abstammung entlassen werden. In ihren Wiedergutmachungsunterlagen findet sich das Zeugnis der Bank, in dem es abschließend heißt: „ Fräulein Meyer scheidet mit dem heutigen Tage bei uns aus, und wir wünschen ihr auf ihrem ferneren Lebenswege das Beste“.

Während ihrer nun folgenden Arbeitslosigkeit zog sie mehrere Male um. Zwischen 1934 und 1935 zog sie zwei Mal nach Baden-Baden und wieder zurück, bevor sie im April 1936 nach Bad Polzin ins heutige Polen zog. Im März 1938 kam sie aus Dresden zurück und wohnte wieder bei Ihren Eltern in Offenburg. Zwei Monate später zog die ganze Familie nach Heidelberg. Warum sie all diese Umzüge unternahm und was sie in dieser Zeit machte, ist nicht bekannt.

Bekannt ist erst wieder, dass sie am 01.09.1939 nach New York, USA, auswanderte. Dafür fuhr sie mit der Eisenbahn von Heidelberg nach Rotterdam und kam dort mit dem Dampfer am 14.09.1939 in New York an. Dort fand Ruth jedoch auch keine feste Anstellung in ihrem Beruf und musste kleine Nebenjobs annehmen, um sich über Wasser zu halten. Sie arbeitete im Haushalt, in Restaurants und Fabriken bei bescheidenem Verdienst.

In der Zwischenzeit wurden ihre Eltern, die noch in Deutschland wohnten, am 22.10.1940 mit rund 6500 anderen Juden aus Baden und der Saarpfalz nach Gurs in Frankreich deportiert. Ihr Vater starb dort am 28.03.1941. Ihre Mutter konnte am 21.10.1941 aus dem Lager entkommen und wie ihre beiden Kinder zuvor in die USA auswandern. Da Marie durch den Aufenthalt in Gurs arbeitsunfähig geworden war, hatte sie kein Einkommen. Sie wurde von Ruth und ihrem Bruder Max finanziell unterstützt, die beide ebenfalls kaum Geldmittel hatten.

Ruth lernte in New York den aus Deutschland stammenden Juden Josef Poryle kennen und heiratete ihn am 02.12.1944. Sie nahm seinen Namen an und hieß somit Ruth Poryle. Sieben Jahre später ließ sich das Ehepaar wieder scheiden und Ruth siedelte nach Miami, Florida um. Dort wohnte sie in der 945 South Shore Drive. In dieser Zeit, am 02.12.1950, verstarb ihre Mutter.

Ebenfalls in diesem Jahr beantragte sie vom Deutschen Staat Wiedergutmachungs-leistungen. 1959 erhielt sie die ersten Zahlungen (für Auswanderungskosten und Sonderabgaben, die alle deutschen Juden 1939 zu leisten hatten), 1962 für ihren Verdienstausfall und 1967 schließlich eine Kapitalentschädigung und Rente. Insgesamt erhielt sie 7.332 DM.

In Miami heiratete sie 1962 Herrn Gerritsen.

Ruth Meyer geschiedene Poryle verheiratete Gerritsen verstarb am 30.08.1990 im Alter von 77Jahren.

Lars Heide
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2010/11

Bernheimer, Siegfried

Foto: Staatsarchiv FreiburgSiegfried Bernheimer wurde am 21. Juni 1881 in Offenburg geboren. Seine Eltern waren der Bäcker Karl und seine Frau Babette Bernheimer (geborene Bloch). Siegfried Bernheimer hatte drei Schwestern namens Lisa, Anna und Sophie. Seine Familie war jüdisch und besaß die deutsche Staatsangehörigkeit.

Siegfried Bernheimer besuchte das Grimmelshausen-Gymnasium in Offenburg und zog dann mit 29 Jahren nach München, um sich seinem Studium zu widmen. Zwischen 1910 und 1914 wechselte er in regelmäßigen Zeitabschnitten seinen Wohnort: Von München zog er zurück nach Offenburg und pendelte anschließend  zwischen Offenburg und Straßburg hin und her. Als er dann nach vier Jahren sein Studium abgeschlossen hatte, zog er 1916 nach Achern um. Dort lernte er seine große Liebe Albertine Theresia Lamm kennen. Sie wurde am 22. Februar 1890 in Waldulm geboren und war Katholikin. Schon nach kurzer Zeit heirateten sie und zusammen zog das Ehepaar nach Offenburg in die Schlossergasse 14.

Siegfried Bernheimer war Diplomkaufmann und arbeitete als Abteilungsleiter beim Wirtschaftsamt. Zusätzlich arbeitete er als Aushilfe bei der Stadtverwaltung Offenburg. Dort erhielt er allerdings keinen Lohn, sondern nur eine Arbeitsbescheinigung. Seine Frau, wie Zeitzeugen sich zu erinnern glauben, arbeitete in einer Wäscherei in der Nähe der Schlossergasse 14. Im Jahre 1933 wurde Siegfried aus seiner Anstellung entlassen, da er als Jude nicht weiterarbeiten durfte, wie er selbst sagte: „Durch die rassenpolitische Verfolgung ab 1933 durch die Nazipartei war es mir nicht möglich Arbeit zu erhalten.“ Nun war er arbeitslos und somit ohne Einkommen. Außerdem glaubte er, dass er in den nächsten Jahren keine Stelle mehr erhalten würde, da das Arbeitsamt auf wiederholte Anfrage stets erklärte: „Als Jude kommen sie überhaupt nie in Frage!“.

Am 10. November 1938, dem Tag nach der Pogromnacht, wurde er, wie alle anderen männlichen Offenburger Juden über 16 Jahren, nach Dachau deportiert. Nach zwei Monaten wurde er entlassen. 

Da Siegfried Bernheimer in einer sogenannten „Mischehe“ lebte, wurde er nicht wie die anderen badischen Juden 1940 nach Gurs deportiert.
Im Februar 1945 wurde er dennoch nach Theresienstadt deportiert, wo er bis zur Befreiung des Lagers inhaftiert war. Bei der Deportation beschlagnahmte die Gestapo seinen Besitz, der unter anderem aus einem Rucksack, einer silbernen Taschenuhr, einem paar Bergstiefel sowie rund 150 RM bestand.
Als er anschließend zurückkehrte, litt er unter starken gesundheitlichen Schäden, die er sich im Lager zugezogen hatte. Ein ärztliches Attest bestätigt, dass er unter anderem schwere Herzprobleme und schwache Augen hatte. Durch diese Erkrankungen beeinträchtigt, fand er keine Arbeitsstelle mehr. Siegfried Bernheimer erhielt jedoch von der „Jüdischen Vereinigung in Berlin“ finanzielle Unterstützung. Dieser kleine Betrag reichte jedoch nicht aus, und so beantragte er im Jahre 1946 vom deutschen Staat eine finanzielle Wiedergutmachung. Aufgrund seiner Erkrankung bekam er 1948 einen vierwöchigen Erholungsaufenthalt im Haus Rubens in Baden-Baden zugesprochen. Später erhielt er wegen seiner großen Notlage Wiedergutmachungsleistungen und danach auch eine monatliche Rente in Höhe von 87 RM.

Am 30. Oktober 1960 starb seine Frau Albertine Bernheimer nach einem Autounfall im Städtischen Krankenhaus in Offenburg. Vermutlich war Siegfried Bernheimer durch sein hohes Alter geschwächt, so dass er im Dezember des Jahres 1963 in das psychiatrische Landeskrankenhaus in Emmendingen eingewiesen wurde. Dort verbrachte er seine letzten Lebensjahre mit schweren Depressionen, bis er am 1. August 1964 in Emmendingen starb.

Da Siegfried Bernheimer nach der Lagerhaft gesundheitlich so beeinträchtigt war, wurde für ihn 1996 in Offenburg vor dem Haus Schlossergasse 14 ein Stolperstein in den Boden eingelassen.

Katharina Hornung und Katharina Müller
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2012/13