Kahn, Hannelore Fanny

Foto: Staatsarchiv Freiburgbzw. Chanah Hannelore Avnon

 
Hannelore Kahn wurde am 14. September 1925 geboren. 1933 ging sie auf die Volksschule bis zur 4. Klasse. Anschließend erlaubten es ihr die Gesetze der Nationalsozialisten nicht mehr, die höhere Schule zu besuchen, also lernte sie in der Klosterschule bis zum 10. November 1938 (d.h. Mitte Quarta). Von diesem Datum an konnte sie in Offenburg keine Schule mehr besuchen. Deshalb fuhr sie 1939 für einige Monate nach Karlsruhe in die jüdische Schule, bis kurz vor dem Krieg. Sie selbst schreibt über diese Zeit: „Auch vor 1938 kann ich mich nicht erinnern, dass ich jemals ins Kino oder Schwimmbad oder sonstige Veranstaltungen gehen konnte, da überall geschrieben stand Juden und Hunde unerwünscht.’“
 
Im Januar 1940 ging sie in ein Vorbereitungslager (Zentrum für Israel) in Schniebincken, im September desselben Jahres wurde sie wegen einer Blinddarmoperation zur Erholung nach Hause geschickt. Doch von Erholung war keine Rede, bereits am 22. Oktober 1940 wurde sie zusammen mit ihren Eltern nach Gurs deportiert. Sie war damals fünfzehn Jahre.
 
Die Familie Kahn hatte mehrmals versucht, eine Auswanderung in die USA oder nach Holland zu beantragen. Im April 1939 wurde sogar die Auswanderung nach Amerika bestätigt. Aus nicht bekannten Gründen erfolgte diese aber nicht, und so wurde die Familie, wie fast alle badischen Juden, deportiert und einem grausamen Schicksal überlassen. Von Gurs wurden sie im Frühjahr 1941 in das Lager Rivesaltes deportiert. Während ihre Eltern dort blieben, kam Hannelore am 13. Juli 1942 in ein katholisches Kinderheim in Vic-sur-Cere.
 
In den folgenden zwei Monaten musste sie sich mehrere Male in den Bergen verstecken, da die französische Polizei nach deutsch-jüdischen Kindern suchte. Im September wurde sie in ein Kloster bei St. Flour gebracht, wo sie sich verborgen halten musste, bis die Razzien in dem Bezirk nachgelassen hatten. Anschließend kam sie zurück nach Vic-sur-Cere, wo sie nach einigen Wochen von der jüdischen Untergrundbewegung falsche Papiere bekam, die auf den Namen Helen Keller ausgestellt waren. Mit diesen Papieren kam sie dann bei einigen Familien in mehreren Orten Frankreichs als Hausgehilfin unter, jedoch immer nur für einige Tage. Im Januar oder Februar 1943 kehrte Hannelore abermals nach Vic-sur-Cere zurück, von wo aus sie März oder April in ein anderes Kinderheim in der Nähe von Moutiers zum Arbeiten geschickt wurde. Moutiers war damals italienisch besetzt. Hier gelang es ihr im Sommer 1943 von der Präfektur in Chambery neue Papiere zu erlangen. Auch in Moutiers musste sie sich wegen ihres jüdischen Aussehens und wegen ihrer mangelnden Sprachkenntnisse oft verstecken.
 
Im September 1943 – die Italiener waren inzwischen abgezogen – führte die Gestapo nachts Haussuchungen durch. Um einer Verhaftung zu entgehen musste Hannelore mitten in der Nacht flüchten. Es gelang ihr zusammen mit einer anderen jüdischen Familie in eine kleine Ortschaft zu flüchten und zu entkommen. Sie versteckte sich mit sechs weiteren Personen in einem Zimmer, wo sie sich bis März, also fünf Monate lang, verborgen hielt. Wegen der ständigen Haussuchungen durch die deutsche Gestapo wurde die Situation unerträglich. Hannelore flüchtete deshalb im März 1944 allein nach Lyon. Sie hielt sich zeitweise in Lyon und auch in St. Etienne bei bekannten Familien auf, die ihr Unterschlupf gewehrten und bei denen sie ihren Lebensunterhalt als Aushilfe verdiente. Wegen ihrer mangelhaften Sprachkenntnisse konnte und durfte sie auch hier nicht in die Öffentlichkeit. Trotz vieler Kontrollen und Haussuchungen durch die deutsche Wehrmacht gelang es Hannelore, die Befreiung durch die französische Armee im Sommer 1944 zu erleben.
 
1945 lernte sie in Limoges die jüdische Gemeinde kennen, eine Jugendgruppe, die mit ihr zusammen 1945-46 Pläne für Palästina schmiedete. Ihr Vater war bereits im August 1941 verstorben, die Mutter war 1945 in Auschwitz für tot erklärt worden,  und so hielt sie nichts mehr in Europa. Im Februar 1946 gelangte Hannelore mit einem illegalen Schiff von Marseille nach Israel. Damals war sie 21 Jahre alt. Dort hat sie sich von Hannelore in Chanah umbenannt und sich  mit einer Gruppe von Jugendlichen in dem Kibutz Galed niedergelassen. Der Name Galed steht für die Erinnerung an die Eltern, die in Deutschland vernichtet wurden. Zusammen mit den anderen jungen Leuten lebte sie zunächst in Zelten auf einem Hügel.
 
1947 heiratete Chanah und im Februar 1948 wurde ihre erste Tochter geboren. Das war während des Befreiungskrieges. Der Kibutz war von Arabern umgeben, und viele Männer waren Soldaten, es war also eine schwere Zeit. Doch die Frauen waren stark, und es gab genug zu essen. So überstand Chanah auch diesen Krieg, zusammen mit Mann und Tochter. Sie arbeitete in dem Babyhaus des Kibutz, da in diesem Jahr viele Babys geboren wurden. Das Babyhaus war das erste Haus, in dem es Elektrizität, warmes Wasser und eine normale Toilette gab. Das war nichts Ungewöhnliches am Anfang einer neuen Siedlung. Chanah selbst wohnte mit Mann und Tochter in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Im Dezember 1951 wurde ihre zweite Tochter geboren. Die folgenden 22 Jahre arbeitete sie in der Hühnerzucht des Kibutz. Ihre Töchter wohnten im Kinderhaus. Ein Jahr später bekamen sie eine Zwei-Zimmer-Wohnung und lebten in sehr einfachen Verhältnissen, aber so war die Entwicklung im ganzen Land, besonders im Kibutz. Im selben Jahr fuhr auch schon der Bus, zweimal täglich nach Haifa und einmal täglich nach Tel-Aviv. Das Leben verbesserte sich somit Schritt für Schritt.

1957 war Chanah Avnon  zum ersten Mal wieder in Offenburg und besuchte ihren Vetter, ebenso ihre Schwester in Schweden.

Seit 1972 arbeitet sie aus gesundheitlichen Gründen in der Nähstube des Kibutz. Ihre Töchter sind beide verheiratet und haben ihr sechs Enkeltöchter geschenkt. 1980 zog Chanah Avnon mit ihrem Mann in eine 2 ½ Zimmerwohnung mit Garten, Wiese und Bäumen. Ihr Mann starb 1992. Zwei Jahre später hatte sie Brustkrebs und wurde operiert, sie hat jedoch alles gut überstanden. Heute ist sie 81 Jahre alt. Sie arbeitet täglich 3-4 Stunden in der Nähstube und geht zum Mittagessen in den Speisesaal des Kibutz. Sie schrieb mir in einem Brief:
„Meine schönste Freude sind meine 5 ½ Urenkel und der schöne Familienkreis. Und hier im Kibutz werden wir, die alles aufgebaut haben, gut versorgt. Meine Wohnung ist mit Air-Conditioning gekühlt oder gewärmt, ich habe eine Mikrowelle und einen Kühlschrank mit Gefrierfächern. Auch sehe ich in der Television ‚Wer wird Millionär’.“
 
Chanah Hannelore Avnon musste Furchtbares in ihrer Jugend erleiden. Diese war geprägt von der grausamen Verfolgung durch die Nationalsozialisten und der Vernichtung ihrer Eltern. Trotzdem konnte sie sich durch harte Arbeit in Israel ein erfülltes Leben aufbauen und eine Familie gründen, die sie sehr glücklich macht.
 

Maren Falk
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2006/07

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