Foto: Stadtarchiv Offenburg

Offenburger Presse-Serie: 75 Jahre Ende zweiter Weltkrieg

Vor 75 Jahren endete der zweite Weltkrieg. Eine Serie des Offenburger Tageblattes beleuchtet in Zusammenarbeit mit dem Museum im Ritterhaus und dem Stadtarchiv die Auswirkungen der Schreckenszeit auf Offenburg.

Im ersten Beitrag bewertet der künftige Museumsleiter Dr. Wolfgang Reinbold, wie „braun“ Offenburg im Dritten Reich war, welche Kriegsschäden die Stadt erleiden musste und welche Lehren es zu ziehen gilt. Weiterlesen: BZ_15.4.2020_Ende 2. WK in OG-1

Foto: Stadtarchiv Offenburg

Offenburg: Ein Massaker und ein mutiger Junge

Am 12. April 1945, kurz vor dem Ende des zweiten Weltkrieges, begann am Vormittag ein grausames Verbrechen an 41 Häftlingen des Offenburger Außenlagers Flossenbürg in der früheren Artilleriekaserne in der Prinz-Eugen-Straße.
Corona-bedingt musste die öffentliche Gedenkfeier abgesagt werden, weshalb nur ein stilles Gedenken im kleinsten Kreis abgehalten wurde. Weiterlesen: BZ_15.4.2020_Ende 2. WK in OG-1 und OT_15.4.2020_Erinnerung an Massaker

Beresford, Myriam (geb. Cohn)

Staatsarchiv FreiburgMyriam Ruth wurde am 16. Januar 1929 in Offenburg geboren. Sie war die zweitälteste Tochter des Kaufmannes Eduard Cohn. Ihre Mutter Sylvia, geborene Oberbrunner, war offiziell zwar „nur“ Hausfrau, im Grunde aber Schriftstellerin. Myriam war immer sehr stolz auf ihre Mutter.
Ihr Vater wurde nach der Reichspogromnacht im November 1938 im KZ Dachau eingesperrt, wo ihm „nahegelegt“ wurde, sofort nach seiner Entlassung seine Emigration in die Wege zu leiten. Im Mai 1939 gelang es ihm nach England zu emigrieren, wo er sich bemühte, seine Familie nachzuholen bzw eine Ausreise nach Palästina zu realisieren. Mit Kriegsbeginn im September 1939 waren alle Pläne zum Scheitern verurteilt.
Myriam war gerade mal elf Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter und ihren beiden Schwestern Esther und Eva nach München zog. Ihre älteste Schwester Esther, die seit ihrem vierten Lebensjahr an Kinderlähmung litt, lebte dort von nun an in einem Kinderheim, während Myriam und Eva eine jüdische Schule besuchten. Als im März 1940 Myriam mit Eva und ihrer Mutter zurück nach Offenburg zog, blieb Esther in München. In ihrer Heimatstadt hatte sich inzwischen einiges geändert: Beide Mädchen mussten nun in Freiburg eine jüdische Schule besuchen, weil jüdischen Schülern und Schülerinnen nicht länger gestattet wurde, in öffentlichen Einrichtungen zu lernen.
Am 22.10.1940, als alle pfälzischen und badischen Juden nach Gurs deportiert wurden, war die übrig gebliebene Familie Cohn ebenfalls dabei. In dem Lager lebte sie in überfüllten Frauenbaracken. Nachdem die Ruhr 1050 Tote forderte, wurden ab 1941 immer mehr Inhaftierte in andere Lager in Frankreich transportiert. Myriam und ihre kleine Schwester kamen in das Kinderheim Masgelier, was ihnen ermöglichte, wieder zur Schule zu gehen. Da Myriam und Eva unter 14 Jahren waren, konnte ihre Mutter mit Hilfe der OSE die beiden Mädchen in die Schweiz retten. Der illegale Grenzübertritt erfolgte in der Nacht. Sylvia Cohn hingegen wurde nach Auschwitz deportiert und dort am 30. September 1942 ermordet.
Nach einem dreiwöchigen Aufenthalt in einem Quarantäne-Lager wurden Myriam und Eva in ein Kinderheim unter der Leitung von Lilly Volkart nach Ascona geschickt. Mit ihrem Vater unterhielten die Mädchen einen regen Briefwechsel. Vor allem Myriam hatte viel Kontakt, da sie mit ihm über ihre schulische Weiterbildung oder berufliche Perspektive ausführlich diskutierte. Als ihr Vater sie und Eva zur Ausreise drängte, hatte Myriam ihre Ausbildung in der Schweiz noch nicht beendet. Ihrer Meinung nach hatte ihr Vater nie etwas zur Rettung der Mutter oder ihrer Schwester Esther beigetragen, die in Auschwitz ebenfalls den Gastod starb.
Im Oktober 1945 reiste Myriam zusammen mit Eva nach London, wo beide den Vater nach sechs Jahren das erste Mal wiedersahen. Für Myriam begann erneut eine Zeit des Lernens. Mit schnell erworbenen Englischkenntnissen war es ihr möglich, eine Stelle in einem Reisebüro anzunehmen.
1955 lernte sie in England ihren Mann kennen und wanderte mit ihm nach Amerika aus. In New York lebten sie zunächst in einem ärmeren Viertel an der Lower East Side. Nach der Geburt des zweiten Kindes zog die Familie um. Myriam traf dabei auf eine Bekannte, die sie aus den Kinderheimen Masgelier und Ascona kannte, welche ihr von einer Gruppe deutscher Juden im New Yorker Stadtviertel Washington Heights berichtete.
Als Myriams Kinder noch klein waren, ließ sie sich von ihrem Mann scheiden. Um ihre schrecklichen Erlebnisse in Deutschland und Frankreich hinter sich zu lassen, brachte sie ihren Kindern nie Deutsch bei. Mit ihren Freunden, die fast alle deutsche Juden waren, sprach sie hingegen die Muttersprache. Sobald sie etwas im Fernsehen sah, welches mit Deutschland verbunden war, gab sie als Kommentar bloß „those bloody Germans“ von sich. Selbst Jahre später war es ihr nicht möglich, über ihre Vergangenheit, vor allem über ihre Mutter, zu sprechen. Sie empfand sich als mitschuldig an ihrem Tod, hatte sie doch versehentlich den falschen, d.h. den Koffer ihrer Mutter mit in die Schweiz genommen, einen Koffer, der mit Asthma- und Herzmedikamenten gefüllt war. Für sie war dies ein traumatisches Ereignis, das ihr ganzes Leben prägte. All‘ die Jahrelang hielt sie Kontakt mit ihrer Schwester Eva, der Kontakt zu ihrem Vater blieb jedoch eher gering.
Im Alter von 45 Jahren wurde bei Myriam Leukämie diagnostiziert. In der Zeit nach der Diagnose verlor sie immer mehr den Glauben an Gott, denn sie konnte sich nicht damit abfinden, dass sie den Holocaust überstanden hatte, aber plötzlich an Krebs erkrankt war. Myriam Ruth Beresford starb am 7. Oktober 1974

Lara Schmitt, Oken-Gymnasium J1c
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2019-20

Levi, Leopold

K. SchlessmannLeopold Levi wurde am 5.10.1878 in Altdorf bei Ettenheim geboren. Er hatte fünf Geschwister, Arnold, Mathilde, Fanny, Gustav und Nathan. Seine Heirat mit Klara Kassewitz fand am 27.10.1920 in Schmieheim, dem Geburtsort der Braut statt. Leopold Levi besaß eine eigene Pferdehandlung in der Orschweirer Straße 4 in Ettenheim. Zusammen mit seinen Eltern lebten er und seine Frau Klara Levi aber weiterhin im elterlichen Haus in Altdorf. Das Haus hatte die Nr. 382, da zu dieser Zeit die Straßen noch keine Namen trugen. Der Einheitswert wurde damals auf 5.500 RM angesetzt. In der „Reichskristallnacht“, dem Judenpogrom im November 1938, wurde das Haus der Familie beschädigt; so wurden unter anderem nicht nur die Scheiben eigeschlagen, sondern selbst die Fensterrahmen zerstört und das gesamte Inventar zertrümmert. Wie es scheint, war die Familie Levi schon vor diesem Ereignis antisemitischen Pöbeleien ausgesetzt. Nach der Pogromnacht jedenfalls zog der fast neunzigjährige Vater von Leopold nach Freiburg, um weiteren Anfeindungen zu entgehen. Sein Sohn wurde wie so viele andere Juden ins KZ Dachau eingeliefert und befand sich dort vom 12.11.1938 bis zum 22.11.1938 in „Schutzhaft“. Zurück aus dem Lager wickelte er den Verkauf des väterlichen Anwesens ab. Der Kaufvertrag mit dem Wagnermeister Christian Hunn über 5300 RM wurde am 24.3. 1939 im Notariat Ettenheim beurkundet, und der Grundbucheintrag erfolgte am 29.5.1940. Leopold Levi verließ Altdorf und zog nach Offenburg in die Gerberstraße 14. Gründe für den Umzug lagen auch darin, dass Leopolds Frau aus begreiflichen Gründen wenig Sympathie für die Ortschaft Altdorf hegte.

Am 22.10.1940 wurden Leopold Levi und seine Frau wie alle badischen und pfälzischen Juden in das Lager Gurs in Südfrankreich deportiert. Knapp 2 Jahre später, am 22.8.1942, musste das Ehepaar den Weg in den Tod antreten: über Drancy in die Gaskammer von Auschwitz. Das Amtsgericht Offenburg erklärt auf Antrag seiner Tochter Ilse am 4.5.1949 Leopold Levi für tot. Als Sterbedatum wurde der 8.5.1945, der Tag der Kapitulation des deutschen Reiches, festgesetzt. Tochter Ilse Bloch ist die einzige Überlebende der Familie und konnte ein Visum für die Vereinigten Staaten ergattern. Hier baute sie sich ein neues Leben auf.

Fynn Schmid
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2019-20

Weil, Julius

Staatsarchiv FreiburgAm 3 Januar 1881 kam Julius als Sohn der Eheleute Samuel und Jette Weil in Offenburg zur Welt. Er besuchte zunächst die Volks- und Mittelschule , dann die Handelsschule in Offenburg. Anschließend führte er bis 1930 ein Textilwarengeschäft in der Wilhelmstraße 5 in Offenburg, ehe ein Verkehrsunfall ihn zur Aufgabe des Ladens zwang. In der Wilhelmstraße 5 befand sich auch die Wohnung der Familie. Hier lebte er zusammen mit seiner Frau Bella geboren am 14.5.1887 und mit Sohn Stefan (Schmuel) Weil, geboren am 17.12.1923. Nach der Aufgabe des Geschäftes verdiente Julius den Lebensunterhalt als Handelsvertreter in der Papierbranche, bis er schließlich aufgrund der Naziverfolgung in den 1930er Jahren diesen Beruf ebenfalls nicht mehr ausüben durfte. Bis zum November 1938 war Julius dann als Gemeindesekretär in der jüdischen Gemeinde in Offenburg tätig. Sein Einkommen belief sich auf 150-175 Reichsmark, was ungefähr 1072 – 1251 Euro entspricht.
Am 10.11.1938 wurde er nach der Verwüstung der Synagoge in Offenburg mit seinem Vater Samuel Weil in das KZ Dachau deportiert, aus welchem er am 17.12.1938 wegen der Drangsalierungen und der schlechten Lebensbedingungen herzkrank zurück kam.1939 und 1940 stand er unter ständiger ärztlicher Aufsicht, bis er am berüchtigten 22.10.1940 mit seiner Frau Bella in das Lager Gurs in Südfrankreich deportiert wurde. Dort verschlechterte sich sein Herzleiden aufgrund der katastrophalen Lebensbedingungen, Unterernährung, primitiven Unterkunft, Mangel an Medikamenten und fehlenden Behandlungsmöglichkeiten. Vor seinem Tod erlitt Julius einen schweren Herzanfall der unbehandelt blieb. Er starb am 7.3.1942 in der allgemeinen Baracke. Julius verbrachte bis zu seinem Tod insgesamt 16 Monate in Haft. Seine Frau Bella und sein Sohn Stefan entkamen nach Palästina und bauten sich dort eine neue Existenz auf.

Lea Dogan
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2019-20

Cahn, Johanna (geb. Kohlhagen)

Staatsarchiv FreiburgAm 25. Januar 1877 wurde Johanna Cahn in Höringhausen bei Kassel als Tochter des Gastwirts Jakob Kohlhagen und seiner Frau Sarah geboren. Über die Kindheit von Johanna gibt es keine Informationen. Sie war mit Isidor Cahn verheiratet, der aus Dortmund stammte. Johanna hatte wie ihr Mann eine kaufmännische Ausbildung. Die Eheleute bauten in Offenburg das Schuhhaus „Adler“ auf, das bald zu einem der besten Schuhgeschäfte der Stadt wurde. Nach dem Tod ihres Mannes am 1. Mai 1929 übernahm Johanna das Geschäft in Alleinregie. Zum Vermögen der Familie Cahn gehörte auch ein großes Wohnhaus in der Hildastraße 57a.
Am 1. Februar 1936 musste das Schuhgeschäft wegen der nationalsozialistischen Zwangsmaßnahmen gegen Juden an Hermann Eberholzer verkauft werden.
Isidor und Johanna Cahn hatten eine Tochter, die am 22. Februar 1905 geborene Ilse. Sie heiratete später den Nichtjuden Hans Kramer und lebte mit ihm in Mannheim. Aus dieser Ehe entstand Margot, später eine verheiratete Doerntlein. Die Ehe ihrer Mutter scheiterte weit vor 1933, und Ilse Kramer zog mit Margot nach Offenburg. Dort arbeitete sie im Schuhladen ihrer Mutter Johanna mit. Am 22. Oktober 1940 wurden Johanna Cahn und ihre Enkelin Margot, die zu diesem Zeitpunkt 13 Jahre alt war, wie alle badischen und pfälzischen Juden nach Gurs deportiert. Während ihre Enkelin von einem Schweizer Hilfswerk gerettet werden konnte und in die USA auswanderte, wurde Johanna Cahn in das Lager Rivesaltes verlegt, wo sie am 5. Juli 1943 an vermeintlicher Herzschwäche starb. Ihre Tochter Ilse Kramer arbeitete zum Zeitpunkt der Deportation als Haushaltshilfe bei einer jüdischen Familie in Stuttgart. Wahrscheinlich ist sie mit dieser in ein Konzentrationslager im Osten deportiert und dort ermordet worden. Man hat nie wieder etwas von ihr gehört.
In den Jahren nach dem Krieg stellte Margot Doerntlein einen Antrag auf Entschädigung. Jedoch verzichtete sie auf eine Wiedergutmachung für das „arisierte“ Wohnhaus und das „arisierte“ Schuhgeschäft. Stattdessen wollte sie nur eine Geldessumme für Johannas und ihren Aufenthalt in Gurs und für die Jahre, in denen Johanna Cahn nicht arbeiteten durfte.

Sina Laible, Schillergymnasium Offenburg
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2019-20

Spitzer, Isidor

K. SchlessmannIsidor Spitzer, der am 6.5.1910 das Licht der Welt erblickte, wuchs in der Stegermattstraße 10 in Offenburg auf. Sein Vater Alexander Spitzer wurde am 8.12.1867 in Mattesdorf in Ungarn geboren. Zusammen mit seiner Ehefrau Helene betrieb er einen kleinen Hausierhandel in Offenburg. Laut amtlicher Einschätzung gehörten die Eheleute Spitzer zu den ärmsten Juden der Stadt. Sie erhielten finanzielle wie materielle Unterstützung seitens der Kommune, gelegentlich auch von der jüdischen Gemeinde. Dennoch häuften sich die Schulden, so dass es im Sommer 1933 zu Zwangsvollstreckungen kam. Ab Ende 1938 war das Ehepaar völlig auf die Unterstützung der jüdischen Gemeinde angewiesen, weil die Nazis per Gesetz öffentliche Wohlfahrtshilfe für Juden verboten. Am berüchtigten 22. Oktober 1940 wurde Alexander Spitzer wie alle badischen und pfälzischen Juden in das Internierungslager nach Gurs in die Pyrenäen deportiert. Dort verstarb er am 7.12.1941. Seiner Frau hingegen gelang die Flucht in die USA.
Isidor Spitzer besaß drei Schwestern. Zwei Schwestern, Frieda und Thekla, entkamen mit der Mutter in die USA. Thekla verstarb jedoch schon am 20.5.1942 krankheitsbedingt in Denver. Die andere Schwester Bertha Spitzer, war schon 1926 an den Folgen einer Tuberkuloseerkrankung verstorben.
Isidor Spitzer flüchtete bereits im Mai 1933 ins Elsass. In Offenburg als Gemeindebeamter tätig gewesen, arbeitete er laut Angaben eines Bekannten nun als Kantor und Schochet (Vorsänger in einer Synagoge und religiöser Schlachter). Hier lernte er auch seine zukünftige Frau Blanche Landauer kennen. Sie heirateten 1934 und zogen später in die Nähe von Paris. Zuvor, noch in Straßburg, hatte Blanche Spitzer ihren Sohn Roland am 30.12.1935 zur Welt gebracht. Zu einem unbekannten Zeitpunkt, wahrscheinlich als die Deutschen in Paris einmarschierten, flohen die Spitzers weiter nach Marseille. Die Hafenstadt befand sich im nicht von den Nazis besetzten Teil Frankreichs. Es ist davon auszugehen, dass die Familie versuchte, mit dem Schiff von Marseille aus in ein anderes Land zu flüchten, was ihr jedoch nicht gelang. Im März 1943 wurde die Familie zusammen mit vielen anderen Juden von Marseille in das SS-Sammellager Drancy bei Paris deportiert. Wenige Tage später, am 23.3.1943, musste Isidor Spitzer den Viehwagon in das Vernichtungslager Majdanek bei Lublin betreten. Seitdem galt er als vermisst. Wahrscheinlich wurde er in Majdanek kurz nach der Ankunft ermordet. Auch seine Frau Blanche und seinen Sohn Roland deportierten die Nazis von Drancy aus im April 1944 nach Auschwitz, wo sie wohl sofort vergast wurden. In einer französischen Sterbeurkunde ist für Roland Spitzer als Todesdatum der 18.4.1944 angegeben. Frieda Spitzer, die einzige Überlebende, stellte einen Antrag auf Entschädigung für das Leid und den Tod ihres Bruders. 1957 erhielt sie letztendlich 3300 DM. Rechnet man dies auf die Dauer der Flucht Isidor Spitzers hoch, so war ein Tag voller Furcht, Angst und Verzweiflung nur 0,45 Euro wert.

Leon Hambrecht
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2019-20

Hammel, Babette (geb. Kahn)

Staatsarchiv FreiburgBabette Hammel, geborene Kahn, erblickte am 28.8.1865 in Diersburg das Licht der Welt. Sie heiratete am 24.6.1890 Jakob Hammel, welcher im Juli 1863 geboren wurde und ebenfalls Jude war. Er starb allerdings am 31.8.1928 mit 65 Jahren, wodurch Babette Hammel nach 38 Jahren Ehe zur Witwe wurde.

Vor Jakobs Tod lebten die Beiden in Neufreistett, zogen aber am 30.6.1920 in die Zeller Straße 21 in Offenburg um, wo Babette mit ihrem Mann ein Anwesen besaß. Sie bekamen zwei Kinder, Paul und Leo. Babettes Mann Jakob war Inhaber eines Viehhandelsgeschäfts, welches nach seinem Tod von seiner Frau und ihrem jüngeren Sohn Paul fortgeführt wurde. 1940 musste Babette den älteren Sohn Leon, der nach Frankreich ausgewandert war, um Geld bitten und zwar um insgesamt 90.000 Francs, die über Verwandte in der Schweiz zu ihr transferiert werden sollten. Mit der Summe wollte Babette die von den Nazis verhängte Juden-Sondersteuer begleichen. Laut dieser Steuer hatten deutsche Juden zwanzig Prozent ihres Gesamtvermögens in fünf Raten an die jeweiligen Finanzämter abzugeben, wobei es dem Staat so gelang, eine Milliarde Reichsmark einzunehmen.

Am 22.10.1940 wurde Babette Hammel mit ihrem Sohn Paul und ihrer Schwiegertochter Mina sowie deren zwei kleinen Söhnen aus ihrer Wohnung in der Zellerstr. 21 ins Sammellager Gurs in Südfrankreich deportiert, wie zu diesem Zeitpunkt alle anderen badischen und pfälzischen Juden. Laut ihrem Sohn Leo hatte die bereits 75 Jahre alte Babette mit ihrer Schwägerin nur eine halbe Stunde Zeit, um einen kleinen Koffer zu packen. Bis auf die beiden kleinen Enkel, die in ein Kinderheim kamen, starben alle anderen Familienmitglieder in den Nazilagern: Bereits am 27.2.1942 starb Babette in Gurs, ihr Sohn und dessen Frau erlitten Ende August desselben Jahres in Ausschwitz den Gastod.

Benedikt Hambsch
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2019-20