Isidor Spitzer, der am 6.5.1910 das Licht der Welt erblickte, wuchs in der Stegermattstraße 10 in Offenburg auf. Sein Vater Alexander Spitzer wurde am 8.12.1867 in Mattesdorf in Ungarn geboren. Zusammen mit seiner Ehefrau Helene betrieb er einen kleinen Hausierhandel in Offenburg. Laut amtlicher Einschätzung gehörten die Eheleute Spitzer zu den ärmsten Juden der Stadt. Sie erhielten finanzielle wie materielle Unterstützung seitens der Kommune, gelegentlich auch von der jüdischen Gemeinde. Dennoch häuften sich die Schulden, so dass es im Sommer 1933 zu Zwangsvollstreckungen kam. Ab Ende 1938 war das Ehepaar völlig auf die Unterstützung der jüdischen Gemeinde angewiesen, weil die Nazis per Gesetz öffentliche Wohlfahrtshilfe für Juden verboten. Am berüchtigten 22. Oktober 1940 wurde Alexander Spitzer wie alle badischen und pfälzischen Juden in das Internierungslager nach Gurs in die Pyrenäen deportiert. Dort verstarb er am 7.12.1941. Seiner Frau hingegen gelang die Flucht in die USA.
Isidor Spitzer besaß drei Schwestern. Zwei Schwestern, Frieda und Thekla, entkamen mit der Mutter in die USA. Thekla verstarb jedoch schon am 20.5.1942 krankheitsbedingt in Denver. Die andere Schwester Bertha Spitzer, war schon 1926 an den Folgen einer Tuberkuloseerkrankung verstorben.
Isidor Spitzer flüchtete bereits im Mai 1933 ins Elsass. In Offenburg als Gemeindebeamter tätig gewesen, arbeitete er laut Angaben eines Bekannten nun als Kantor und Schochet (Vorsänger in einer Synagoge und religiöser Schlachter). Hier lernte er auch seine zukünftige Frau Blanche Landauer kennen. Sie heirateten 1934 und zogen später in die Nähe von Paris. Zuvor, noch in Straßburg, hatte Blanche Spitzer ihren Sohn Roland am 30.12.1935 zur Welt gebracht. Zu einem unbekannten Zeitpunkt, wahrscheinlich als die Deutschen in Paris einmarschierten, flohen die Spitzers weiter nach Marseille. Die Hafenstadt befand sich im nicht von den Nazis besetzten Teil Frankreichs. Es ist davon auszugehen, dass die Familie versuchte, mit dem Schiff von Marseille aus in ein anderes Land zu flüchten, was ihr jedoch nicht gelang. Im März 1943 wurde die Familie zusammen mit vielen anderen Juden von Marseille in das SS-Sammellager Drancy bei Paris deportiert. Wenige Tage später, am 23.3.1943, musste Isidor Spitzer den Viehwagon in das Vernichtungslager Majdanek bei Lublin betreten. Seitdem galt er als vermisst. Wahrscheinlich wurde er in Majdanek kurz nach der Ankunft ermordet. Auch seine Frau Blanche und seinen Sohn Roland deportierten die Nazis von Drancy aus im April 1944 nach Auschwitz, wo sie wohl sofort vergast wurden. In einer französischen Sterbeurkunde ist für Roland Spitzer als Todesdatum der 18.4.1944 angegeben. Frieda Spitzer, die einzige Überlebende, stellte einen Antrag auf Entschädigung für das Leid und den Tod ihres Bruders. 1957 erhielt sie letztendlich 3300 DM. Rechnet man dies auf die Dauer der Flucht Isidor Spitzers hoch, so war ein Tag voller Furcht, Angst und Verzweiflung nur 0,45 Euro wert.
Leon Hambrecht
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2019-20