Caroli, Elfriede

Caroli ElfriedeAnfang der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts wurden im ehemaligen Zentralarchiv des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR Dokumente aus der NS-Zeit gefunden. Es handelte sich um ca. 30 000 Akten von Patientinnen und Patienten, die 1940/41 bei der ersten zentral organisierten Massenvernichtungsaktion (Aktion T4) im Nationalso­zialismus ermordet wurden. Darunter befand sich auch die dünne Krankenakte der Elfriede Caroli, deren Inhalt auf das Leben und das grausame Schicksal einer jungen Frau aufmerksam macht. T4 hieß die Aktion nach dem Sitz der zentralen Dienststelle in der Berliner Tiergartenstraße 4. Insgesamt wurden zwischen Januar 1940 und August 1941 ungefähr 70 000 Menschen im damaligen Reichsgebiet im Zuge der gemeinsam von der Kanzlei des Führers und  der Medizinalabteilung des Reichsinnen­ministeriums organisierten Vernichtungsaktion umgebracht.
 
Elfriede Caroli wurde am 17. Mai 1909 als vierte Tochter des Bandagisten Richard Caroli und seiner Ehefrau Karolina Rosa, geb. Schmidlin, in Lahr geboren. Elfriedes Vater war der jüngste der sieben Söhne des Gründers der Lahrer Bandagenfabrik Heinrich Caroli und, wie alle seine Brüder, in der Firma tätig. Über die Jugendzeit von Elfriede ist wenig bekannt. In der Krankenakte aus dem Bundesarchiv in Berlin ist vermerkt, dass sie in die Mädchenschule in Lahr gegangen ist, dort aber nicht gut gelernt hat. Noch lebende Familienangehörige der Fa­milie Schmidlin schildern Elfriede als fröhliches Mädchen, das gut Klavier spielen konnte. Die einzigen weiteren Informationen über Elfriede Caroli als Mädchen und als junge Frau sind in den kargen Aufzeichnungen enthal­ten, die bei ihrer Aufnahme in die Heil- und Pflegeanstalt Illenau (Achern) am 20. Januar 1931 entstanden sind.
 
Demnach war die junge Frau nach abgeschlossenem Schulbesuch zunächst zu Hause, hatte Musikstunden und besuchte die Arbeitsschule. Im November 1929 ging sie auf das Konservatorium in Karlsruhe, von wo sie aber an Pfingsten des Folgejahres plötzlich zurückkehrte. Wegen zunehmender Apathie verbrachte sie im Sommer 1930 drei Wochen in Wörrishofen. Vor der Aufnahme in die Heil- und Pflegeanstalt Illenau zeigte sie sich ihrer Familie in wechselnder Stimmung. Sie sprach öfters mit sich, starrte viel zum Fenster hinaus, war oft in Gedan­ken und wie abwesend, saß nachts aufrecht im Bett und starrte vor sich hin. Sie wurde auch zunehmend aggressiv.
 
Ungeachtet ihrer zierlichen Gestalt (sie war 1,65 m groß und wog 50 kg), war Elfriede körperlich gesund. Sie hatte sich normal entwickelt und war, von einigen Kinderkrankheiten abgesehen, nie ernsthaft krank gewesen. Ihre psychische Anlage wurde von der Anstalt wie folgt charakterisiert: „Stets gern für sich, sonst nichts Besonderes. Von jeher nervenschwach.“
 
In der „Illenau“ stumpfte Elfriede zunehmend ab. Sie arbeitete nicht, saß oder stand herum und wurde auch immer wieder gewalttätig. Sie sprach mit niemandem, auch nicht mit der Mutter und der Schwester, die immer wieder zu Besuch kamen. 1935 wurde sie aus „Platz­gründen nach Emmendingen verlegt“. Ihr Zustand ver­schlechterte sich weiter. Sie musste dauernd bewacht werden, stand unter Spannung und neigte zu Zerstör­ungs­sucht. 1938 und 1939 gibt es nur jeweils zwei Einträge, die einen unveränderten Zustand dokumentieren. Sie lag in der festen Jacke im Bett, lächelte vor sich hin und war nicht ansprechbar. 1940 enden die Einträge schlagartig. Am 12. August 1940 wird noch mit anderer Handschrift notiert: „Aus planwirtschaftlichen Gründen verlegt.“
 
Die sogenannte Verlegung am 12. August 1940 lief wie folgt ab: Nachdem vom badischen Innenministerium die Verlegungsanordnung in die Anstalt gekommen war, fuhren die drei Busse der „Gemeinnützigen Kranken Trans­port GmbH“ von Grafeneck aus zu der Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen. Auf der Transportliste mit der Nummer II 898 steht Elfriede Caroli an fünfter Stelle. In einem Ordner der Pflegeanstalt fand sich der folgende Eintrag: „12. 8. 1940: Anforderung von 90 Frauen. 15 gestrichen, davon 5 gestorben, 5 zurückgestellt. 4 ‚Arb.‘ eine Begründung nicht leserlich, evtl. ‚med. Fall‘. 75 Patientinnen werden abgeholt, dabei auch eine jüdische Patientin.“
 
Nach der Ankunft in Grafeneck überprüfte man zunächst die Personalien. Die Kranken wurden in einem Raum ausgekleidet und dann den Ärzten zur letzten Untersuchung vorgeführt. Anschließend wurde Elfriede in einen Aufenthaltsraum geführt, von wo sie in die Baracke zur Vergasung geführt werden sollte. Mit allen anderen ging sie durch ein Tor im Bretterzaun, vorbei am Krematorium, zum Tötungsgebäude. Die Gruppe wurde beim Betreten des Vergasungsraumes nochmals gezählt, dann gingen die Tore zu. Kohlenmonoxid-Gas strömte herein, das der Anstaltsarzt Dr. Baumhardt durch Betätigung eines Manometers in Gang setzte. Nach zwanzig Minuten wurde die Gaszufuhr gestoppt, da sich im Vergasungsraum nichts mehr bewegte. Das Krematoriums­personal transportierte nach einiger Zeit die Toten, darunter Elfriede, zum Verbrennungsort.
 
Die Eltern erhielten einen sogenannten Trostbrief zusammen mit dem persönlichen Eigentum der Verstorbenen. In den meisten Fällen, wie auch bei Elfriede Caroli, wurde das Todesdatum gefälscht, weil eine Häufung von Todesfällen am gleichen Tag Verdacht erregt hätte. Im Melderegister Lahrs ist so bis heute der 22. August 1940 als Todestag verzeichnet. An diesem Tag war Elfriede bereits zehn Tage tot. Sie wurde 31 Jahre alt.
 

Dr. Walter Caroli
Lahr

Das Schicksal von Elfriede Caroli ist beschrieben in: Walter und Heinrich Caroli: Lieb undt leid theilen: die Carolis in fünf Jahrhunderten; ein Beitrag zur Lahrer Stadtgeschichte, Lahr 2008

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