Anselm, Elsa (geb. Öhler)

Elsa Anselm war meine Urgroßmutter, über die ich wenig wusste. Es war mir schon sehr früh bekannt, dass sie in Zeiten des Nazi-Regimes in ein Konzentrationslager gebracht worden war und dass sie über­lebte, aber zwischenzeitlich gestorben war. Der Grund für ihre Depor­tation war, dass sie einen anderen Glauben hatte, denn sie bekannte sich zu den Zeugen Jehovas.
 
Ihre Lebensgeschichte begann für mich mit einem Schuhkarton, den ich aus der Verwandtschaft bekommen hatte. Dieser enthielt einige amtliche Dokumente, ihren letzten Ausweis und die letzten Rechnungen aus ihrem Leben. Unten im Karton befanden sich auch Zeugnisse aus der NS-Zeit. Nun wusste ich, sie war am 5. Juni 1900 in Altenheim geboren und ihr letzter Wohnort war in Lahr, in Burgheim. Dort verstarb sie auch im Alter von 97 Jahren. Die Schriftstücke aus dem Dritten-Reich beinhalteten die „Verurteilung“ zu fünf Monaten Schutzhaft, wegen „Betätigung für die Ernsten Bibelforscher[1]“ und ein „Überstellungsbericht“ von der Schutzhaft in Mannheim in das Frauengefängnis Bruchsal. Des Weiteren befanden sich aus „neuerer“ Zeit eine Straftilgung für die „Verurteilung“ wegen ihrer Mitwirkung bei den Zeugen Jehovas, sowie ein Bescheid aus den Zeiten der Denazi­fizierung in dem Karton. Auf einem Kärtchen stand, sie sei eine „Entlastete“, das bedeutete, sie habe nachweislich das NS-Regime nicht unterstützt.
 
Die weitere Recherche führte mich zu Personen, die Elsa gekannt haben und in das Generallandes­archiv in Karlsruhe, wo ich Akteneinsicht bekam. Der Lebenslauf von Elsa füllte sich auch immer mehr mit weiteren Daten und Anekdoten aus ihrem Leben, die aus Berichten über ihre Erzählungen aus der Haft-Zeit stammten. Ihre Akte im Archiv umfasst 94 Seiten, der Großteil davon stammt aus dem Dritten Reich.

Elsa wurde 1900 in Altenheim als Elsa Öhler geboren, bis zu ihrer Heirat mit zwanzig Jahren arbeitete Sie als Dienstmädchen. Elsa nahm den Names ihres Mannes an, aber verließ ihn eigenmächtig und gebar danach ihre Tochter Martha. Elsa arbeite wieder in verschiedenen Stellungen, welche sie von Altenheim nach Kehl, Marlen und Pforzheim führten. In dieser Zeit hörte sie zum ersten Mal etwas von den Zeugen Jehovas und konvertierte zu diesem Glauben. Zwischen­zeitlich wurde die Ehe geschieden, „wegen böswilligen Verlassens“. Obwohl das Kind zuerst standardmäßig dem Mann zugesprochen wurde, bekam Elsa ihre Tochter von der Fürsorge zur Erziehung wieder.
 
Hitler und seine Anhänger kamen an die Macht. Die Reichtagsbrandverordnung 1933 wurde auch als Grundlage für ein Verbot der Zeugen Jehovas genutzt, was allerdings nichts an Elsas Glauben änderte. Nach der Ausbildung zur Parapackschwester in Pforzheim, übernahm sie die Parapack-Filiale in Lahr im Jahre 1936 und engagierte sich immer noch aktiv für die Zeugen Jehovas. In dem gleichen Jahr am 7. Dezember wurde sie verhaftet und in „Schutzhaft“ nach Mannheim gebracht. Der Grund war ihr Glaube zu den Zeugen Jehovas, wegen dem sie am 19. Februar 1937 zu 5 Monaten verurteilt worden ist. Nach ihrer Haftzeit in Bruchsal wurde sie ins KZ Möhringen gebracht, weil sie ihrem Glauben nicht abschwören wollte. Aus dieser Zeit gibt es noch die „offiziellen“ Verlegungspläne in das KZ –Lichten­burg im Dezember 1937 und die weitere Deportation im Mai 1938 ins KZ Ravensbrück. In einem der Briefe an ihre Tochter Martha, erzählt sie einmal, dass der Lager-„Arzt“ gemeint habe, die Sterbensrate sei zu niedrig, die Essensrationen müssen weiter minimiert werden.
 
Nach acht Jahren in Konzentrationslagern wurde auch Elsa 1945 befreit. Danach wurde sie mit ande­ren KZ-Insassen nach München gebracht, wo sie in „Kur“ kamen. Darauf kehrte sie zu ihrer zwischen­zeitlich verheirateten Tochter Martha in das Haus des Schwiegersohns und deren Eltern nach Hugs­weier zurück.
 
Aus ihrer Zeit in den Konzentrationslagern erzählte Elsa sehr wenig. Die Geschichten, die weitergetra­gen worden sind, berichten immer nur von dem wenigen Schönen. Zum Beispiel erzählte sie, dass sie 1943 an einen Hof verliehen worden ist, an welchem sie von dem Besitzer eine „Bibel“ der Zeugen Jehovas bekommen hätte, die er ihr im Sautrog gut eingepackt versteckt hätte.
 
Nach einem längeren Briefwechsel, der auch noch im Generallandesarchiv aufgehoben war, gab es 1951 eine Straftilgung. Nach einigen Jahren zog Elsa nach Lahr-Burgheim, wo sie weiterhin für die Zeugen Jehovas aktiv geblieben ist. Bis zu ihrem Tod am 21. Oktober 1993 lebte sie dort.

 
Heike Rinderspacher

[1]    Der Ausdruck „Ernste Bibelforscher “ wurde bis 1942 von den Nazis für die Zeugen Jehovas benutzt.

Print Friendly, PDF & Email