In den Lebensläufen der drei Cohn-Schwestern Esther, Myriam und Eva spiegeln sich, wie bei so vielen jüdischen Familien, die mörderischen und für die Familien tragisch endenden Zeitumstände im nationalsozialistischen Deutschland wieder: Die älteste, Esther, geboren am 18. September 1926, wurde in einem Vernichtungslager umgebracht; die zweite Schwester Myriam, geboren am 16. Januar 1929, gelangte nach ihrer Entlassung aus dem französischen Internierungslager Rivesaltes über die Schweiz nach England und schließlich in die USA; die jüngste, Eva, geboren am 27. März 1931, die mit ihrer Schwester aus Rivesaltes entlassen wurde, konnte zusammen mit ihr zu dem in London lebenden Vater reisen. Sie heiratete dort und lebt noch heute in der englischen Hauptstadt. Die Mutter der drei Mädchen wurde im KZ Auschwitz ermordet.
Die drei Schwestern waren die Kinder von Eduard Cohn und seiner Frau Sylvia, einer geborenen Offenburgerin aus der Familie Oberbrunner. Vater Cohn betrieb einen Weinhandel sowie eine Branntweinbrennerei; nach Aufgabe der Selbständigkeit arbeitete er in den 1930er Jahren als Handelsvertreter.
Am Tag nach der Reichspogromnacht, am 10. November 1938, wurde Eduard festgenommen und im KZ Dachau für sechs Wochen inhaftiert. Mit dem Versprechen, dass er Deutschland verlassen würde, wurde er im Dezember 1938 entlassen. Eine Auswanderung stellte die Familie vor eine große Herausforderung, da drei halbwüchsige Kinder vorhanden waren und die Tochter Esther seit 1931 an Kinderlähmung litt. Im Juni 1939 verließ der Vater seine Familie und reiste nach England, um die Auswanderung vorzubereiten.
Währenddessen gingen die Kinder unter der Woche zwangsweise nach Freiburg in eine jüdische Schule. Mittlerweile war nämlich den jüdischen Schülerinnen und Schülern von den Nazis per Gesetz untersagt worden, die normale öffentliche Schule zu besuchen. Die Cohn-Schwestern lebten dort bei einer Pflegefamilie und kamen nur am Wochenende nach Hause. Als der Zweite Weltkrieg begann, wurde die Mutter mit den Kindern nach München evakuiert. Dort lebte sie mit Eva und Myriam in einem kleinen Zimmer am Stadtrand. Esther hingegen war wegen ihrer Erkrankung im jüdischen Kinderheim in der Antonienstraße untergebracht, weil der Schulweg für sie sonst zu beschwerlich gewesen wäre. 1940 zog die Mutter mit Myriam und Eva nach Offenburg zurück, da wegen des deutschen „Blitzkriegs“ von der französischen Streitmacht nichts zu befürchten war. Die beiden Kinder gingen erneut in Freiburg in die Schule. Esther hingegen blieb in München. Sie besuchte dort die jüdische Schule und machte einen so glänzenden Abschluss, dass sie auf der Entlassfeier die Rede halten durfte. Von einem kurzen Ferienaufenthalt abgesehen sollte sie ihre Familie nie wiedersehen: Über das KZ Theresienstadt, wohin sie 1942 transportiert wurde, deportierten die Nazis sie im Oktober 1944 „in den Osten“. Seither fehlt von ihr jede Spur. Nach dem Krieg legte das Amtsgericht Offenburg ihren Sterbetag auf den 8. Mai 1945 fest, den Tag der Kapitulation Nazi-Deutschlands.
Am berüchtigten 22. Oktober 1940, als in ganz Baden die Juden von den Nazis zusammengetrieben wurden, wurde Mutter Sylvia Cohn von Offenburg aus, Myriam und Eva von Freiburg aus nach Gurs deportiert. Hier fanden sie sich wieder. In dem Lager lebten sie unter sehr schlechten Umständen. Sie mussten hungern und erkrankten an der Ruhr. Abgemagert wurden sie 1941 in ein anderes Lager nach Rivesaltes verlegt, wo sie sich eine Gelbsucht zuzogen. In Rivesaltes gelang es Mutter Cohn, für ihre beiden Töchter im April 1943 einen Platz in einem jüdischen Kinderheim zu organisieren, von wo aus die jüdische Hilfsorganisation „Oeuvre de Secours aux Enfants“ die beiden jungen Mädchen – Myriam war dreizehn Jahre alt, Eva elf – in ein Kinderheim bei Ascona in der Schweiz vermittelte. Dort erlebten die Kinder das Kriegsende.
Mit dem Vater, der während des Kriegs britischer Soldat geworden war, hielten die Töchter weiterhin Kontakt. Schließlich bekamen sie eine Einreisebewilligung nach England. Nach vielen Jahren des Hoffens und Bangens trafen die beiden Cohn-Schwestern ihren Vater wieder und versuchten in der Folge, ein „normales“ Familienleben zu führen. Die Kinder mussten Englisch lernen, um die Schule besuchen zu können. Dies erschien zunächst schwierig, da ihre Schulbildung im Vergleich zu der ihrer englischen Klassenkameraden sehr viel schlechter war. Eva hatte jedoch weniger Schwierigkeiten als ihre Schwester, da sie sehr sprachbegabt war; neben Deutsch und Englisch sprach sie bald Französisch und Italienisch und beschloss am Ende der Schulzeit, ins Hotelfach zu gehen. 1954 heiratete sie den deutschen Juden Wolfgang Mendelsson, dem es kurz vor Kriegsbeginn gelungen war, aus Breslau nach England zu entkommen. Die beiden bekamen drei Kinder. Eines ist verheiratet und lebt in Israel, das andere hat in Jerusalem studiert, und das jüngste lebt in England. In Ihrer neuen Heimat London widmete sich Eva der Textilkunst, anfangs aus der Notwendigkeit heraus, sich einen Zuverdienst zu schaffen. Später entstanden daraus immer mehr künstlerische Arbeiten. Bis heute besucht sie immer wieder Offenburger Schulen, um den heutigen Schülern vom Schicksal ihrer Familie zu erzählen. Ihre Schwester Myriam ließ sich in England zur Sekretärin ausbilden, heiratete 1955 und zog nach Amerika. Sie bekam 2 Kinder und starb am 7. Oktober 1974 in New York.
Nurten Karakurt & Verena Kiefer
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2015/16