Cohn, Sylvia (geb. Oberbrunner)

Foto: PrivatbesitzSylvia Oberbrunner wurde am 05.05.1904 in Offenburg als Jüngste von fünf Kindern geboren. Ihren Eltern gehörte eine Weinhandlung in der Wilhelmstraße 14. Die Mutter Emma starb bereits 1922 und Sylvia musste den Haushalt führen, wodurch sie sehr schnell erwachsen wurde. Sie begann früh, Tagebuch zu schreiben und Gedichte zu verfassen, besonders oft schrieb sie über ihre Liebe zur Natur und zum Schwarzwald. Sylvia ging in Offenburg zur Schule und machte eine Ausbildung, danach engagierte sie sich in einem Gesprächszirkel für jüdische und christliche Frauen.
 
Ihren Mann Eduard Cohn lernte sie über ein Inserat in einer jüdischen Zeitung kennen, was damals durchaus üblich war. Die beiden heirateten 1925 und bekamen in den folgenden Jahren drei Kinder: Esther, Myriam und Eva. Sie engagierte sich sehr im gesellschaftlichen Leben und verbrachte gleichzeitig viel Zeit mit der Erziehung ihrer Kinder. Sie führte für jedes ihrer Kinder ein Tagebuch und komponierte ihnen ein eigenes Schlaflied. Als Mutter war sie streng, erzog ihre Kinder im jüdischen Glauben und brachte ihnen viel Liebe entgegen. In den Jahren bis 1931 lebte die Familie ein ganz normales Leben, dann jedoch erkrankte Esther an Kinderlähmung und für die Cohns begann eine schwere Zeit.
 
Eduard war in das Weingeschäft Sylvias Eltern eingestiegen, aber die Geschäfte liefen schlecht. 1933 musste die Weinhandlung schließlich aufgeben und verkauft werden.
In den folgenden Jahren machte sich Sylvia viele Sorgen um ihre Familie: Es stand finanziell nicht gut, aber man konnte sich gerade so über Wasser halten. Der große Schlag kam am 9.11.1938, als Eduard, wie alle männlichen Juden aus Offenburg, von der SS festgenommen und nach Dachau deportiert wurde. Sylvia und er schrieben sich viele Briefe. Nach sechs Wochen wurde Eduard Cohn wieder entlassen, unter der Bedingung, Deutschland innerhalb von sechs Monaten zu verlassen.
 
Sylvia schreibt darüber in ihrem Tagebuch: „Warum sollte er gehen? Was war sein Verbrechen? Deutschland war seine Heimat, wir liebten den Schwarzwald. Das einzige Verbrechen war, dass wir Juden sind.“
 
Am 30.5.1939 reiste Eduard nach England, in der Hoffnung, seine Familie bald nachholen zu können. Sylvia blieb alleine mit den Kindern zurück. Sie war jetzt nicht nur für die Kinder zuständig, sondern musste gleichzeitig auch noch als Köchin Geld verdienen. Die Mädchen lebten unter der Woche in Freiburger Pflegefamilien, weil dort die nächste jüdische Schule war, nur am Wochenende kamen sie nach Hause. Eduard versuchte verzweifelt, seine Familie nach England zu holen, doch als endlich Aussicht auf die Ausreisepapiere bestand, brach der Krieg aus.
 
Sylvia stellte Anträge auf Ausreise nach England und Dänemark, jedoch vergeblich. In einem Brief an ihre Schwester schrieb sie: „Es scheint für uns keine Aussicht mehr auf ein legales Zertifikat zu bestehen und ein illegales wollen wir nicht.“
 
1939 musste die Familie wegen Bombengefahr nach München fliehen. Dort lebten sie in einer kleinen Wohnung und die Kinder hatten in einer jüdischen Schule Unterricht. Im März des Jahres 1940 kehrte Sylvia mit ihren Kindern Eva und Myriam zurück, Esther blieb wegen ihrer Krankheit in einem Kinderheim in München. Für sie war das ständige hin- und herfahren zwischen Offenburg und Freiburg zu anstrengend.
 
Am 22.10.1940 wurden Sylvia, Eva und Myriam nach Gurs deportiert. Die Reise dorthin im überfüllten Zug und ohne Nahrung dauerte volle drei Tage und vier Nächte. Das Leben im Lager war menschenunwürdig, die Kinder wurden krank und Sylvia magerte ab. Die Mädchen wurden in ein Kinderheim gebracht, wo sie zumindest etwas lernen konnten. Während dieser Zeit versuchte Sylvia, den Kontakt zu ihrem Mann und ihrer Tochter Esther so gut wie möglich zu halten.
 
Am 13.3.1941 wurden Sylvia, Eva und Myriam nach Rivesaltes gebracht, dort bekamen die Kinder Gelbsucht. Als Sylvia bald darauf nach Auschwitz deportiert werden sollte, ließ sie die beiden Töchter bei Freunden zurück, die ihr versprachen, sie über die Grenze zu bringen. Natürlich fiel es ihr schwer, ihre Kinder zu verlassen, aber es war Sylvias einzige Chance, ihnen das Leben zu retten.
 
Am 16.9.1942 wurde sie nach Auschwitz deportiert. Sie starb dort, ohne zu wissen, was mit ihren Kindern passieren würde, ob sie überleben würden oder nicht. Das letzte Dokument, das ich fand, war ihre Sterbeurkunde, ausgestellt in Auschwitz:
„Sylvia Cohn, geb. Oberbrunner, ist am 30. September 1942 um 1 Uhr 45 min in Auschwitz gestorben. Todesursache: plötzlicher Herztod.“
 
Sylvia Cohn war eine sehr intelligente, ernsthafte und tapfere Frau, die in ihren Gedichten nie von Hass, Vergeltung oder Rache sprach; umso tiefer trifft der Ton und die Klage ihrer Gedichte.
 
 
Judith Martin
Gedenkbuch Salmen (Offenburg), Oktober 2005

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