Geismar, Siegfried

Foto: Staatsarchiv FreiburgSiegfried Geismar wurde am 12. Januar 1879 in Breisach am Rhein geboren und lebte ab 1907 in Offenburg. Verheiratet war er seit Februar 1908 mit Judith Beck. Das Paar hatte vier Kinder, die drei Töchter Alice Erna, Hedwig, Bella Margarette und den einzigen Sohn Norbert.
Ab 1922 betrieb Siegfried, gelernter Metzger, ein eigenes Geschäft in der Kreuzkirchstraße. Obwohl in religiöser Hinsicht eher traditionell – die Familie aß zuhause koscher – verkaufte Siegfried Geismar im Geschäft jedoch sowohl koschere als auch nicht koschere Produkte. Und auch den Sabbat konnte die Familie nicht einhalten, weil sie auf den an diesem Tag erzielten Umsatz angewiesen war. So blieb das Geschäft des Vaters auf der Kreuzkirchstraße auch samstags geöffnet. Bevor es von den Nazis verboten wurde, hatte Siegfried Geismar auch nichtjüdische Angestellte und zuhause gab es eine Haushaltshilfe. Nach dem Verbot halfen der Sohn und die beiden Töchter des Metzgermeisters deshalb im Geschäft mit, da ihnen der Schulbesuch zu dieser Zeit schon verweigert wurde.

Offenbar waren viele Offenburger trotz der Propaganda gegenüber Juden liberal eingestellt. Hedwig Geismar berichtet davon, dass es viele Menschen gab, die versuchten, die Juden in Offenburg zu unterstützen. Dies scheiterte, als mehr Druck von „oben“ kam, wie ein Beamter ihrem Vater verriet, als er ihm mitteilen musste, dass er in Zukunft nicht mehr in Geismars Laden einkaufen könnte. Der Boykott gegen jüdische Geschäfte am 1. April 1933 hatte auch das Geschäft der Familie Geismar nicht ausgelassen, so verweigerten SA-Leute den Eintritt in die jüdische Metzgerei.

Am 30.4.1939 wurde das Gesetz über „Mietverhältnisse der Juden“ erlassen.
Juden durften sich nun nicht mehr auf den Mieterschutz berufen, und so konnten ihnen Mietverträge schneller gekündigt werden. Die Familie Geismar musste in ein so genanntes „Judenhaus“ in der Gaswerkstraße 17 umziehen, dort lebte sie zusammen mit den Familien Grombacher, Hammel und Lion zusammengedrängt auf engstem Raum.

Im Mai 1938 musste Siegfried Geismar sein Geschäft schließen, da es immer weniger Kundschaft gab und die laufenden Kosten zu hoch wurden. Die Familie Geismar war nun gezwungen von ihren Ersparnissen leben. Als Grund der Schließung der Metzgerei wurden Schulden bei der Stadtkasse angegeben. Zu dieser Zeit hatten Sohn Norbert und Tochter Bella Margarette Deutschland bereits verlassen und waren nach England und Palästina ausgewandert. Als am 22.Oktober 1940 die Juden Badens nach Gurs deportiert wurden, mussten dieses grausame Schicksal auch Siegfried, Judith und ihre Tochter Alice teilen. Alice Reutlinger und ihr Mann schafften es von dort über die Schweiz nach Nordamerika zu fliehen.

Siegfried wurde über Récébédou, Noé und Drancy am 4. März 1943 nach Majdanek deportiert und nach dem Krieg für tot erklärt, da sein genaues Todesdatum unbekannt blieb. Aus einem Entschädigungsbescheid vom 9. September 1959 geht jedoch hervor, dass Siegfried wahrscheinlich schon kurz nach seiner Ankunft in Majdanek starb. Nach dem Krieg klagte die Familie auf Kapitalentschädigung und auf Freiheitsentziehung und erhielt 5500 DM für die 37 Monate, die Siegfried in Konzentrationslagern saß.
Seine Ehefrau Judith wurde nach ihrer Lagerhaft in Récébédou und Noé am 17. August 1943 nach Lons-le-Saunier entlassen, Im Jahr 1946 konnte sie zu ihrer Tochter Hedwig nach Amerika auswandern, wo sie zwei Jahre später, am 12. August 1948, starb.

 
Tatjana Belender
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2014/15

Print Friendly, PDF & Email