Geismar, Hedwig

Foto: Staatsarchiv FreiburgHedwig Geismar, auch Hedy genannt, kam am 12.6.1912 in Offenburg auf die Welt. Sie wurde als drittes von vier Geschwistern (Erna Alice, Bella und Norbert) in die Familie des Metzgermeisters Siegfried Geismar hineingeboren. Dieser war damals 33 Jahre alt (geb. 12.01.1879) und hatte eine gut gehende Metzgerei in der Kirchstraße 4 (heute Kreuzkirchstraße 4). Unterstützt wurde er dabei von seiner Frau Judith Geismar, geborene Beck, mit der er seit 1908 verheiratet war. Einen Ruhetag am Samstag, wie es die jüdische Religion vorschreibt, konnten sie allerdings nicht einhalten: Der Laden musste für nicht-jüdische Kundschaft offen bleiben, denn um nur vom Verkauf koscheren Fleisches leben zu können, war die Offenburger jüdische Gemeinde nicht groß genug.

Hedy war später Mitglied im Synagogenchor und im „Jugendbund“. Diese Gruppe unter der Leitung von Siegfried Schnurmann bereitete die Jugendlichen vor allem auf eine bevorstehende Auswanderung vor. Es wurde aber auch Sport getrieben, sowie Lieder gesungen und Kulturveranstaltungen abgehalten. In einem Interview, das 1992 in London aufgezeichnet wurde, erinnert sich Hedy an diese schöne Zeit und man spürt, wie wichtig diese Vereinigung war, um auch einmal rauszukommen, aus dem Alltag und den immer häufiger werdenden Schikanen.

Der Alltag war  für die Juden sicher nicht leicht, obwohl es auch viele nichtjüdische Offenburger gab, die „gegen den Strom schwammen“, indem sie z.B. trotz Verbots in jüdischen Geschäften einkauften. Hedy selbst erinnert sich im Interview: „Ich muss sagen, es hat die besten Menschen gegeben unter den Leuten. Sie konnten gar nichts machen dagegen.“ Dass es für die jüdischen Geschäftsleute immer schwerer wurde, lag auch am Boykott vom April 1933. Seitdem lautete es: „Kauft nicht bei Juden“.  An den Boykott von 1933 erinnert sich Hedy nur noch schwach. „Es waren Leute vor dem Geschäft, niemand durfte reinkommen.“ In der folgenden Zeit wurde der Familie verboten, jemanden einzustellen, der ihnen im Geschäft zur Hand gehen könnte. Davor hatten sie, Hedys Aussage nach, „immer Angestellte oder Hilfe im Haushalt“. Der Bruder Norbert half deshalb dem Vater die meiste Zeit in der Metzgerei aus. Im Zuge der „Arisierung“ musste die Familie das Geschäft schlussendlich 1938 schließen, beziehungsweise zu einem Spottpreis verkaufen, und zog im Mai desselben  Jahres in die Gaswerkstraße 17, ein sogenanntes Judenhaus. Außer ihnen lebten dort noch die Familien Grombacher, Hammel und Lion. Hedy hatte in diese Zeit noch eine Anstellung als kaufmännische Angestellte.

Nachdem sie ihren Auswanderungsantrag gestellt hatte, konnte Hedy im Mai 1939 nach England auswandern, wie auch ihre Schwester Bella. Norbert wanderte 1936 in die USA aus.

Im Briefwechsel von Mitarbeitern des Stadtarchivs Offenburg mit ihr im Jahre 1982 berichtet Hedy: „Ich habe nicht die Energie, das was ich vergessen möchte, aber nicht vergessen kann, aufs Papier zu bringen.“; „Ich mochte wohl einst das Schicksal der Offenburger, mit welchen sie zusammen kamen, in vielseitiger Hinsicht geteilt haben, aber wir sind nachher doch wieder Einzelgänger geworden.“

Die Briefe der Eltern, die sie während deren Inhaftierung bekommen hat, möchte sie nicht herausgeben: „Nicht wegen dem Verlieren, wenn sie verloren wären, wäre es noch besser. Wenn ich sie anschaue, ich weiß nicht, ich habe zu viel verloren. Vielleicht bin ich eine besonders weiche Person, ich weiß nicht.“

Hedys Eltern und ihre Schwester Erna Alice wurden 1940 mit den anderen Badener Juden nach Gurs (Südfrankreich) deportiert. Von dort aus trennten sich deren Wege. Judith konnte über Umwege in die USA fliehen, wo sie kurz darauf starb. Auch Erna Alice schaffte es, mit ihrem Mann über die Schweiz nach Amerika zu emigrieren. Siegfried wurde jedoch 1945 im KZ Majdanek in Lublin, wo er 1943 hingekommen war, für Tod erklärt.

 
Alina Müller
Gedenkbuch im Salmen (Offenburg), 2013/2014

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