Greilsheimer, Josef und Mirjam (geb. Barth)

Josef Greilsheimer, genannt Herschel Sepp, wurde in Friesenheim geboren, am 27. Mai 1878. Er wohnte in der Hauptstraße 95 und war Viehhändler. Mehrfach wurde mir berichtet, dass er „jedem Armen eine Kuh in den Stall gestellt“ hat, bezahlen konnte er später, wenn durch den Verkauf der Milch Geld ins Haus gekommen ist. Er war der letzte Vorsteher der jüdischen Gemeinde Friesenheims.
 
Seine Frau Miriam, geb. Barth, war 14 Jahre jünger als er (geb. 6. Februar 1893). Sie sei eine liebe Frau gewesen, hörte ich oft. Wenn die Kinder für sie etwas eingekauft haben oder ihr Blumen gebracht haben, bekamen sie ein Stück Matzen. Besonders Sumpfdotterblumen mochte sie. Viel Abwechslung gab es für die Kinder damals nicht. Da sind sie gerne zu den Wiesen hinter der Mühle gegangen und haben Blumen gepflückt.

Die Kinder halfen beim Holz reintragen und zündeten am Freitag-Abend und Samstag-Morgen das Feuer im Herd in der Küche und im Ofen in der Stube an, weil es Juden am Schabbat verboten ist, zu arbeiten. Frau Greilsheimer hatte das Papier und das Anmachholz gerichtet, sie brauchten es nur reinstecken und anzünden, wie sie es zuhause auch taten. Eigene Kinder hatten das Ehepaar Greilsheimer nicht.
 
Wahrscheinlich wurde Josef Greilsheimer nach der sogenannten Reichkristallnacht im November 1938 auch verhaftet und nach Dachau in „Schutzhaft“ gebracht. Die Lahrer SS hatte den Befehl alle männlichen Juden festzunehmen. Es ist nur eine Vermutung. Vielleicht war der damals 60jährige auch schon zu krank.
 
Am 22. Oktober 1940 wurden neun in Friesenheim lebenden Juden nach Gurs deportiert. Die Eheleute Greilsheimer blieben als einzige Juden in ihrem Heimatdorf zurück. Das für die Abschiebungsaktion vorbereitete Merkblatt schrieb den ausführenden Beamten vor, „bettlägerige und schwer kranke“ Menschen von der Deportation auszunehmen. Herr Greilsheimer war krank, er lag mit Lungenentzündung im Bett. Seine Frau Mirjam hatte für seine Pflege zu sorgen und konnte deshalb auch in Friesenheim bleiben.
 
Die beiden waren gezwungen, weitere antijüdische Verordnungen und Gesetze mit zu erleben. So mussten sie ab dem 1. September 1941 einen gelben Judenstern an der Kleidung tragen. Ab Oktober 1941 hätten sie nur noch mit schriftlicher Genehmigung Friesenheim verlassen dürfen und das auch nur, ohne öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen.
 
Miriam Greilsheimer fragte manchmal den Nachbarn, Michel Erb, ob sie zu ihnen kommen könnte. Ihr würde daheim die Decke auf den Kopf fallen mit dem kranken Mann und ohne die jüdischen Freunde. Sie durfte gerne kommen. Wenn sie wieder nach Hause gehen wollte, mussten die Kinder erst in die Mühlgasse stehen und schauen, ob niemand unterwegs ist.
 
Am Morgen des 9. April 1942 traf Paula Ernst ihren Nachbarn Josef Greilsheimer in der hinter seinem Haus gelegenen Mühlgasse. Sie wunderte sich nicht, dass er einen Strick in der Hand hatte. Schließlich war er Viehhändler gewesen, da gehörte ein Strick zum Handwerkszeug. Als er gesucht wurde und sie in den Obstplantagen hinter dem Haus nach ihm geschaut hatte, erinnerte sie sich mit einer furchtbaren Vorahnung an den Strick. Josef Greislheimer hatte sich am Vormittag in der Scheune hinter seinem Wohnhaus aufgehängt. Eine Kommission nahm den Fall auf, Schaulustige kamen sofort und der Bezirksarzt kam am nächsten Tag. Josef Greilsheimer wäre im nächsten Monat 64 Jahre alt geworden.

Dem Ehepaar Greilsheimer war einige Tage vor dem Tod von Josef Greilsheimer mitgeteilt worden, dass sie am 26. April 1942 nach Polen gebracht werden sollten. Am Vortag hatte die Sozialarbeiterin Henny Wertheimer im Auftrag der jüdischen Bezirksstelle Baden-Pfalz ihnen noch beim Koffer packen geholfen, sie hatte von Selbstmordabsichten nichts bemerkt.

Wenn man das Ende des Josef Greilsheimer als Freitod bezeichnet (wie im Ortssippenbuch oder im Büchlein von Jürgen Stude) oder gar sagt, er habe den Freitod vorgezogen, entsetzt mich das zutiefst. Hat er gewusst, was ihn erwartet?
 
Seine Frau Miriam musste nun auch noch den Tod ihres Mannes ertragen. Im Memor-Buch zum jüdischen Friedhof Schmieheim heißt es, er sei dort bestattet. Einen Grabstein gibt es nicht. Konnte er nach jüdischen Ritual beerdigt werden?

Am 26. April 1942 wurde Mirjam Greilsheimer nach Stuttgart verbracht und von dort nach Izbica bei Lublin in Polen verschleppt. Damals war sie 46 Jahre alt. Nach dem Krieg wurde sie offiziell als „verschollen“ bezeichnet.
 
 
Brief von Henny Wertheimer an Eisenmann von der jüdischen Bezirksstelle Baden-Pfalz:
„Heute komme ich spät vom Außendienst heim und will trotzdem noch diese Zeilen zur Post bringen. Leider muß ich ihnen eine Hiobsbotschaft melden. Herr Jos. Greilsheimer von Friesenheim hat sich heute Vormittag erhängt. Gestern Nachmittag war ich dorten und packte den Leuten noch die Koffer, aber von Selbstmordabsichten merkte ich nichts bei ihm, er war stark herzleidend. Mein Mann und ich stehen den Leuten nach Kräften bei, es ist nur gut, daß die Mutter jetzt bei ihr ist.
Lieber Herr Doktor, ich habe noch schwere Aufgaben zu bewältigen. Nachdem mir heute das Telegramm vom Tod des Herrn Jos. Greilsheimer nach Schmieheim nachgeschickt wurde, fuhr ich noch abends von Kippenheim nach Friesenheim, mein Mann war schon dort, eine Kommission hatte schon alles aufgenommen. Morgen kommt der Bezirksarzt, es ist alles so schrecklich traurig! Ich bin heute über 20 Kilometer zu Fuß gelaufen und bin todmüde.
 Hoffentlich bekomm ich bald Bescheid von Ihnen wegen der Aufnahme meiner Kranken nach Mannheim. Ich weiß, Herr Doktor, auch sie haben schwere Sorgen und müssen ihren Kopf beisammen halten. Schließlich geht auch dies vorüber, wie alles im Leben, Kosmisches Gesetz!
Mit freundlichen Grüßen Frau Henny Wertheimer 
Ich bitte noch um ein paar Sterne zum Aufnähen an die Kleider“.
 
 
Antje Loleit-Kuhlen
Friesenheim 2004

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